Explikat 

Als Funktion der Tragödie weist Aristoteles das Hervorrufen von "Jammer und Schaudern [eleos und phobos]" (Aristoteles 2014, S. 19) aus, das eine "Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt" (ebd.). Durch emotionale Anteilnahme an den auf der Bühne ablaufenden Handlungen und Geschehen wird der Zuschauende von seinen eigenen Gefühlen und Affekten gereinigt – oder popkulturell und bezogen auf die Hinrichtung Eddard Starks in Game of Thrones übersetzt: 

If I can take anything away from last week’s episode of "Game of Thrones", it’s that more of television should be so gripping. If you were shocked, keep watching. If the death bummed you out, keep watching. If you’re upset, keep watching. Enjoy those feelings. (Morgan 2011).

Der Begriff der Katharsis verfügt dabei über eine intensive und wechselvolle Rezeptionsgeschichte, wobei neben poetologischen und moralphilosophischen Überlegungen auch anthropologische und kulturwissenschaftliche Lesarten eine Rolle spielen (vgl. Stenzel 2012, S. 25).

Als zentrale Eckpfeiler der Rezeption bestimmt Julia Stenzel zum einen Gotthold Ephraim Lessings Katharsis-Begriff, den sie als moralpädagogisch fasst (vgl. ebd.). Für Lessing, der Mitleid und Furcht im Kontext der kathartischen Wirkung von Tragödien eng miteinander verknüpft, lässt sich die Katharsis als Mittel der Erziehung zur Tugendhaftigkeit verstehen. Diese besitzt somit eine moralische Funktion:  

Da nämlich, es kurz zu sagen, diese Reinigung in nichts anders beruhet, als in der Verwandlung der Leidenschaften in tugendhafte Fertigkeiten, bei jeder Tugend aber, nach unserm Philosophen, sich diesseits und jenseits ein Extremum findet, zwischen welchem sie innestehet [sic]: so muß [sic] die Tragödie, wenn sie unser Mitleid in Tugend verwandeln soll, uns von beiden Extremis des Mitleids zu reinigen vermögend sein; welches auch von der Furcht zu verstehen. (Lessing 1978, S. 308)

Zum anderen ist nach Stenzel Jacob Bernays' eher medizinisches Verständnis der Katharsis als weiterer Eckpfeiler der Rezeption zu benennen (vgl. Stenzel 2012, S. 25). Dieses bestimme einen eher psychologischen und psychoanalytischen Zugang zur Katharsisproblematik, der sich gleichwohl auch in Wolfgang Schadewaldts Tragödien-Interpretation nachweisen lasse (vgl. ebd.). So zeichne Schadewaldt  die Tragödie nicht nur im Hinblick auf ihre psychischen sondern auch ihre physischen Effekte aus (vgl. ebd. S. 27) und bestimmt die kathartische Wirkung somit ebenfalls von einem eher medizinischen Standpunkt aus. 

Diese Umdeutung bzw. Ausweitung erlaubt nach Stenzel auch die Übertragung des Katharsis-Begriffs auf andere Bereiche (vgl. ebd.) – ein Umstand, der sich möglicherweise auch anhand der beschriebenen popkulturellen Inszenierung der kathartischen Wirkung nachweisen lässt.  


Bibliografie

Primärliteratur 

  • Aristoteles: Die Poetik. Bibliographisch ergänzte Ausgabe. Stuttgart: Reclam, 2014.  

Sekundärliteratur 

  • Lessing, Gotthold Ephraim: Hamburgische Dramaturgie. Stuttgart: Alfred Kröner, 1978.   
  • Morgan, Jeff: Game of Thrones. The Episode that Shocked the World, 2011. http://www.bullz-eye.com/television/features/2011/game_of_thrones.htm. (22.09.2016).
  • Stenzel, Julia: Begriffe des Aristoteles. In: Handbuch Drama. Theorie, Analyse, Geschichte. Hrsg. von Peter W. Marx. Stuttgart/Weimar: J. B. Metzler, 2012. S. 12-31. 

Zum Weiterlesen

  • Bernays, Jacob J.: Zwei Abhandlungen über die Aristotelische Theorie des Dramas. Berlin: Hertz, 1880. 
  • Schadewaldt, Wolfgang: Furcht und Mitleid? Zur Deutung des Aristotelischen Tragödiensatzes. Hermes 83 (1955) H. 2. S. 129-171.