Inhalt

Die 18-jährige Bauerntochter Astrid (Alba August) ist ein rebellischer Trotzkopf, der die Sonntagspredigt des Pastors verballhornt, sich auf Tanzabenden austobt und im Wald ihren jugendlichen Frust herausschreit. Zuhause stellt sie die autoritäre Erziehung ihrer Mutter (Maria Bonnevie) ständig in Frage und verrichtet eher widerstrebend ihre Aufgaben.

Nach ihrem Schulabschluss eröffnet sich der hochintelligenten jungen Frau eine neue Welt, als sie ein Volontariat bei der der kleinstädtischen Zeitung "Vimmerby Tidning" beginnt. Als radelnde Reporterin berichtet sie über die wichtigsten Ereignisse in ihrer Heimatregion und feilt an ihrem offensichtlichen schriftstellerischen Talent. Bald schon verliebt sich ihr Chefredakteur Blomberg (Henrik Rafaelsen) in die lebhafte junge Frau – für Astrid eine willkommene Abwechslung zum grauen Alltag, zumal ihr die Zuneigung des 30 Jahre älteren Blomberg noch mehr Selbstbewusstsein verschafft.

Doch dann wird die junge Frau von dem verheirateten Blomberg schwanger, der bereits sieben Kinder hat. Das versetzt Astrid in eine nahezu unmögliche Lage: von ihren um den guten Ruf besorgten Eltern, die ihren Hof von der Kirche gepachtet haben, kann sie keine Unterstützung erwarten und Blomberg ist zwar gewillt, sie zu heiraten, befindet sich aber noch mitten in einem anstrengenden Scheidungsverfahren. Weil man für außereheliche "Unzucht" im Schweden der 1920er Jahre im Gefängnis landen kann, muss Astrid die Schwangerschaft zudem geheim halten.

So bringt sie ihr Kind im vergleichsweise liberalen Kopenhagen zur Welt, muss dort den kleinen Lars in der Obhut einer Pflegemutter lassen und beginnt in Stockholm eine Ausbildung als Sekretärin. Ihre Beziehung zu Blomberg übersteht die neue Lebenssituation nicht lange. Da Lars’ Pflegemutter erkrankt, holt Astrid ihren mittlerweile dreijährigen Sohn schließlich zu sich nach Stockholm und überwindet sein anfängliches Heimweh nach der dänischen Pflegefamilie mit ihrer Zuneigung und ihrem Einfallsreichtum. Als der Junge an starkem Keuchhusten leidet, ermöglicht Astrids neuer Chef Sture Lindgren (Björn Gustafsson) ihr, sich um den kranken Sohn zu kümmern. Astrids Eltern erfahren ebenfalls von der Krankheit, holen Astrid und Lars zu sich – und stehen fortan in der Öffentlichkeit zu ihnen.

Abb. 1: Screenshot aus Astrid (2018). Verleih: DCM Verleih.Abb. 1: Screenshot aus Astrid (2018). Verleih: DCM Verleih.

Kritik

Eine alte Frau sitzt am Fenster an ihrem Schreibtisch und öffnet langsam einen Stapel Briefe, die mit krakelig-bunter Kinderschrift an sie adressiert sind und neben lauter Fragen auch haufenweise bunte Zeichnungen von Pippi, Ronja und anderen legendären Kinderfiguren enthalten. Aus dem Off erklingt eine Kinderstimme, die Astrid Lindgren – denn um niemand anderen handelt es sich bei der alten Frau – fragt, woher es eigentlich kommt, dass sie so gut versteht, wie sich Kinder fühlen. Bereits diese kurze Rahmenhandlung, bevor der Film in einem Flashback mit seiner eigentlichen Erzählung beginnt, verdeutlicht die Ambitionen des Biopics Astrid: Nicht nur um die Jugendjahre einer später weltberühmten Autorin soll es gehen, sondern auch um den Versuch, zu erklären, woher sie denn kommen, all diese wunderbaren Kindergeschichten aus Lindgren’scher Feder, die sich bei allem Heile-Welt-Anstrich doch immer auch um existenzielle Themen wie kindliche Einsamkeit, Tod und Selbstbehauptung in einer nicht immer kinderfreundlichen Welt drehen.

In der Rolle der Astrid überzeugt Alba August, die Tochter der Regisseure Bille und Pernilla. Sie verkörpert eine vor Empathie und Energie geradezu berstende junge Frau, die noch nicht ahnt, dass sie dereinst zur Kultautorin ganzer Generationen werden wird. Aber sie ist wild entschlossen, sich auf ihre eigene Weise in einer stockkonservativen, patriarchischen Welt zu behaupten. Dass August in ihrer Intensität dabei bisweilen über das Ziel hinausschießt, passt nur umso mehr zu dem Portrait einer Astrid, die noch nicht milde lächelnd in die Fotokameras schaut, sondern ihre Wut, ihren Weltschmerz auf Tanzabenden in wilden Körperverrenkungen erschöpft und im Wald aus sich herausschreit.

Hier dürften Lindgren-Liebhaberinnen und -Liebhaber hellhörig werden: Christensen verwebt geschickt und meistens subtil Anspielungen auf Lindgrens spätere Geschichten – auf den Urschrei der Ronja Räubertochter im Märchenwald, auf die Bullerbü-Kinder und Michel aus Lönneberga, die sich in den Kinderspielen von Astrids Geschwistern und ihrem kleinen Sohn Lasse wiedererkennen lassen; ihr älterer Bruder Gunnar ist ein Prototyp von Jonathan Löwenherz – und die keck vom Kopf abstehenden Zöpfe der 16-jährigen Astrid, die bereits zu Beginn abgeschnitten werden, um die Transformation des Mädchens in die moderne Frau zu symbolisieren, sind natürlich eine Verneigung vor Pippi Langstrumpf. Überhaupt ist Lindgrens berühmteste Erfindung eine Charakterfolie für die junge Astrid, die ihrem kleinen Sohn später von der Limonadenwelt erzählt, in der die Kinder endlich auch mit den Füßen auf dem Kopfkissen schlafen dürfen und sich nicht ständig von den Erwachsenen bevormunden lassen müssen.

Die Welt, in der sich Astrid Ericsson bewegt, hat allerdings so gar nichts vom zeitlosen Märchenwaldcharme der späteren Geschichten: In ein düsteres Grau in Grau ist es getaucht, dieses Schweden der 1920er Jahre; die Winter sind lang und hart, Stockholm präsentiert sich als baumlose Betonwüste mit deprimierend kleinen und verschatteten Wohneinheiten. Nur auf den Zugfahrten durch die smaland’sche Landschaften offenbart sich die ganze Schönheit der Natur, nur im sonnendurchfluteten Garten der Pflegemutter Marie in Kopenhagen kann Astrid wirklich durchatmen – und nur in den Büroräumen des Königlichen Automobil-Clubs, in dem sie auch im Film ihren späteren Ehemann Sture Lindgren kennenlernt, durchweht die Welt ein Hauch von Freiheit.

Der heimliche Star des Films ist die dänische Schauspielerin Trine Dyrholm, die als Pflegemutter Marie mit ihrer mütterlichen, sanften Präsenz den Film überstrahlt. Hier ist eine Frau, die den Kampf um Selbstbestimmung bereits hinter sich und ihn gewonnen hat, und die dadurch zur Ersatzmutter für die junge Astrid wird, die an der unerbittlichen Härte ihrer leiblichen Mutter nahezu verzweifelt. Marie Bonnevie spielt diese Hanna Ericsson als eine vom Überlebenskampf auf dem von der Kirche gepachteten Hof geprägte Frau, die sich mit eiserner Disziplin am christlichen Glauben festklammert und sich schwer damit tut, ihrer ältesten Tochter emotional zu sein – obwohl sie deren Wunsch nach Eigenständigkeit respektiert.

In Schweden ist eine Kontroverse um Astrid entbrannt. Lindgren-Kenner, vor allem aber Lindgrens Tochter Karin Nyman werfen der Regisseurin Pernille Christensen vor, mit dem teils frei erzählten Blick auf die jungen, in ihren Details weitgehend undokumentierten Lebensjahren die Privatsphäre ihrer Mutter zu verletzen (vgl. das Interview auf vi.se). In der Tat hat Lindgren zeitlebens versucht, vor allem diese Zeit ihres Lebens dem neugierigen Blick der Öffentlichkeit zu entziehen und sich nur spärlich dazu geäußert.

Zwar betont der Film im einleitenden Schriftzug explizit, von Lindgrens Leben lediglich "inspiriert" zu sein, doch die Marketingkampagne propagiert etwas zu offensichtlich das Versprechen, möglichst authentisch vom Leben der schwedischen Nationalheiligen zu erzählen.

Dies kann man kritisch sehen: Für diejenigen, die sich in die heile, entsexualisierte Welt des Lindgren’schen Pferdezeitalters verliebt haben, dürfte es ein Schock sein, die schwedische Nationalheilige barbusig beim Sex im Bett mit einem 30 Jahre älteren Mann zu sehen – oder mitzuerleben, wie Mutter Ericsson der emotional ausgelaugten jungen Mutter einen Druckverband um die Brust wickelt, um die nachgeburtliche Laktation zu unterbinden.

Doch dadurch gelingt dem Film etwas nur scheinbar Paradoxes: die Vermenschlichung einer im kulturellen Gedächtnis nahezu vergötterten Figur, deren biographisch belegter Kampf um Selbstbestimmung sich wie eine frühe Folie für den Emanzipationskampf der Frauen gegen die religiös-reaktionäre Bevormundung durch patriarchische Gesellschaftsstrukturen lesen lässt. Bereits deshalb ist Astrid sehenswert.

Abb. 2: Screenshot aus Astrid (2018). Verleih: DCM Verleih.Abb. 2: Screenshot aus Astrid (2018). Verleih: DCM Verleih.

Fazit

Pernille Fischer Christensens zeithistorisches Drama präsentiert Astrid Lindgren als rebellische, selbstbewusste Frau, die sich von den frauenfeindlichen Bedingungen ihrer Zeit nicht beirren lässt. Ob dieses Filmportrait der Person Astrid Lindgren vollständig gerecht wird, das ist eine Frage, die Lindgren-Kenner wohl noch länger hitzig diskutieren dürften. Auf jeden Fall fügt Astrid dem öffentlichen Bild der wohl beliebtesten Kinderbuchautorin neue, ungewohnte Facetten hinzu – und präsentiert zugleich ein realistisches Portrait des harten Kampfes junger Frauen um ein selbstbestimmtes Leben im Schweden der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Titel: Astrid
Regie:
  • Name: Fischer Christensen, Pernille
Drehbuch:
  • Name: Fischer Christensen, Pernille
  • Name: Fupz Aakeson, Kim
Erscheinungsjahr: 2018
Dauer (Minuten): 124
Altersempfehlung Redaktion: 12 Jahre
FSK: 6 Jahre
Format: Kino
Astrid (Pernille Fischer Christensen, 2018)