Handlung

Die 16jährige Vida lebt im Jahr 2060, vierzig Jahre nach einem atomaren Super-GAU in Deutschland. Der Text ist gestaltet als Interview, das die Protagonistin einer chilenischen Reisegruppe gibt, die sich für die Langzeitfolgen der Katastrophe interessiert. Zu lesen sind lediglich die Antworten der Hauptfigur, die Fragen der Interviewer erschließen sich aus dem Kontext. Vida, deren Name eine Anleihe an die Hoffnung ist (spanisch: vida: Leben), führt die Südamerikaner durch ihre Schule und erzählt schonungslos und offen von den Auswirkungen der Katastrophe und rekonstruiert dabei, wie es zum GAU kam: Das Leben der Deutschen teilt sich in ihrem Bericht auf in ein "Davor" und ein "Danach". Der Atomausstieg war schon beschlossen, doch dann gab es im Jahr 2020 eine Kernschmelze in einem süddeutschen Atomkraftwerk. Bis in die Erzählgegenwart hinein leiden die Menschen eklatant an den Folgen der Katastrophe. Sie leben mit vielen Toten (die Namen hängen im Eingangsbereich der Schule) und Kranken. Deutschlands Wirtschaft brach nach der Katastrophe zusammen, seither gilt es als eines der ärmsten Länder der Welt.
Die Berichte der Protagonistin reichen hinein bis in ihr persönliches Schicksal: Seit dem Tod der Großmutter, lebt sie mit der depressiven Mutter allein und pflegt sie. Der Vater ist – wie viele – nach Südamerika geflohen und hat dort eine neue Familie gegründet. Vida unterhält lediglich Briefkontakt zu ihm. Die Pflege der depressiven Mutter, die den Tod der Zwillingsschwester in der Jugend und später den des eigenen Sohnes, nicht verkraftet, ist für die 16Jährige sehr belastend. Umso schwerer wiegt für sie der (natürliche) Tod der Großmutter, an der sie sehr gehangen hat. Vida erzählt den Interviewern viel von ihrer geliebten Omi, deren Stärke und Lebenswillen ihre Bewunderung galt. Die Großmutter steht im Text auch als Vertreterin der Generation, die Atomkraftnutzung zugelassen hat und damit die nachfolgenden Generationen in die Katastrophe gestürzt hat. Doch Vida klagt nicht nur an, sie will kämpfen und die Welt verändern. So entfaltet sich am Ende des mit 126 Seiten eher kurzen Buches eine Hoffnungsperspektive: Vida verliebt sich in einen ihrer chilenischen Besucher und will gemeinsam mit ihm für eine bessere Welt kämpfen.
In einem Nachwort gibt die Autorin Gudrun Pausewang darüber Auskunft, dass sie das Buch nach Atomunfall in Fukushima im Jahr 2011 als Warnung schrieb und nicht aus "Lust, Angst zu erzeugen", ebenso wie 1987 ihren viel beachteten Jugendroman Die Wolke.

Wissenschaftliche Rezeption

Gudrun Pausewang gilt durch ihre Romane Die letzten Kinder von Schewenborn und Die Wolke quasi als jugendliterarische Expertin für die Gefahr der Nutzung von Atomkraft. Sie verbindet in ihren ökologischen Dystopien politisches Engagement mit dem literarischen Schaffen, wie vor allem Uwe Jahnke in seiner Analyse von Noch lange danach hervorhebt (Jahnke 2013). Bewusst will sie ihre Leser nicht schonen, sondern sie will warnen und zum politischen Engagement motivieren. "Ich wünsche mir, dass der Leser, gleichgültig, ob Jugendlicher oder Erwachsener, durch den Schock des Inhalts hindurchfindet zu der Frage, die er sich selbst stellt: Womit kann ich im Rahmen meiner Möglichkeiten tätig dazu beitragen, dass das, was hier fiktiv als Reaktorkatastrophe in Deutschland geschildert wurde, nie Realität wird?" (Pausewang 2012). Mit diesen Worten beschließt sie das Nachwort zu Noch lange danach, das somit einem politischen Aufruf gleichkommt. Uwe Jahnke sucht daher den unmittelbaren Vergleich des Nachworts mit Gudrun Pausewangs politischem Grußwort für Grafenrheinfeld, mit dem sie auf einer Kundgebung ihre Zuhörer zum Widerstand aufruft. Sein Befund ist, dass "der Produktionsprozess von Pausewangs literarischem Schreiben im Sinne einer Produktion einer politisch engagierten Jugendliteratur in ihr eigenes politisches Engagement eingebettet ist" (Jahnke 2013, S.99). Welche Wirkungsabsichten die Autorin mit ihrem literarischen Schaffen verfolgt, expliziert sie offen in ihrem Nachwort, weshalb das Jugendbuch mit Jahnke als unmittelbare "literarische Reaktion auf die Fukushima-Katastrophe" (ebd.) zu verstehen ist, ähnlich wie der Bestseller Die Wolke 1987 auf die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl antwortete. Eingeschrieben ist ihren Texten neben der explizit formulierten Wirkungsintention der Warnung aber auch historische Information bzw. ein Stück Aufklärungsarbeit, das die Autorin im Hinblick auf ihre jugendliche Zielgruppe leistet: "So wird in Noch lange danach für die jugendlichen Leser und Leserinnen gut nachvollziehbar ein historischer Zusammenhang nachgezeichnet, der von dem ersten breiten Widerstand in der Bundesrepublik gegen die Nutzung der Kernenergie am Beispiel des erfolgreichen Widerstands gegen den Bau des Kernkraftwerkes in Whyl im Jahr 1977 über den Reaktorunfall im amerikanischen Harrisburg 1979 und den ersten Super-GAU im ukrainischen Tschernobyl 1986 bis hin zum Widerstand gegen das geplante atomare Endlager in Gorleben und endlich der Katastrophe in Fukushima reicht" (ebd., S. 104). Auf dieser Basis entwirft Pausewang eine literarische Utopie, die aber trotz der ihr eingeschriebenen Schrecken und Horrorszenarien, auch als positive Dystopie rezipiert werden kann, bedenkt man die Hoffnungsperspektive, die der Text am Ende entfaltet. Das positive Ende korrespondiert in Jahnkes Lesart mit dem Umstand, dass am Schluss von Noch lange danach auch der endgültige und umfassende Ausstieg aus der Kernenergie steht, dem sich sogar Frankreich angeschlossen hat (vgl. ebd., S. 106). Vor diesem Hintergrund bezeichnet Jahnke das Buch als „literarische Hoffnung" (ebd., S. 107) der Autorin, womit ein weiteres Argument ins Feld geführt ist, demzufolge  Pausewang keineswegs als "Lehrerin der Angst" bezeichnet werden kann, wie es Susanne Gaschke in der ZEIT tut (vgl. Gaschke 2003, vgl. hierzu auch den Beitrag zum Leben und Werk von Gudrun Pausewang auf kinderundjugendmedien.de). Die Hoffnungsperspektive, die in ihren Katastrophen-Dystopien mitschwingt, wird scheinbar oft übersehen. Zudem ist, bezüglich der Angst, die Pausewangs Bücher, möglicherweise erzeugen, anzuführen, was die Autorin dazu selbst sagt: "Angst haben bedeutet: gewarnt werden. Wer gewarnt wird, darf hoffen. Hoffnung gibt Kraft und schwächt Ängste" (Pausewang 2014, S.13).
Das positive konnotierte Ende von Noch lange danach hebt auch Jana Mikota in ihrer Rezension des Titels hervor: "Noch lange danach ist keine leichte Lektüre, aber das entspricht auch nicht Gudrun Pausewangs Absicht. Dennoch oder gerade deswegen ist ihr ein wichtiger Text gelungen" (Mikota 2012: http://www.alliteratus.com/pdf/lg_fant_danach.pdf)), so lautet ihr abschließendes Urteil.

Wirkungseffekte des Textes

Doch erzeugt Pausewang mit einem Buch wie Noch lange danach bei ihren Lesern tatsächlich Angst? Bewirkt die Warnung, dass was sie sich wünscht: politisches Engagement und Widerstand gegen die Atomkraftnutzung? Mit den Wirkungseffekten befasst sich Iris Kruse in ihrem Aufsatz mit dem Titel "Die (Un-)Wirksamkeit der Warnung" (Kruse 2014) in dem sie auf eine kleine empirische Studie mit sechs Jugendlichen rekurriert. Schon in diesem Titel ist angezeigt, dass Kruse zu einem eher nüchternen Ergebnis kommt. So kann sie sowohl solche Wirkungseffekte feststellen, die mit dem explizit formulierten Autorinnenwunsch konform gehen, als auch solche, die eher von Desinteresse bzw. Distanznahme der jugendlichen Rezipienten von dem Thema zeugen (vgl. ebd., S. 32ff.).
In den genannten wissenschaftlichen Rezeptionen steht das Thema des Buches klar im Fokus, die sprachlich-literarische Gestalt von Noch lange danach hingegen findet kaum Erwähnung, was insofern bemerkenswert ist, als der Interview-Stil schon als literarisch innovativ und durchaus gelungen betrachtet werden kann. Gerade durch die Sprachgestaltung erhält der Text eine besondere Eindringlichkeit. Vida spricht mit kurzen, klaren Sätzen, eben damit erreicht Pausewang eine besondere Authentizität, die in vielen Rezensionen übersehen wird bzw. keine Erwähnung findet (vgl. z.B. Mikota 2012).
Dass die Jugendlichen diese besondere Art der literarischen Form aber sehr wohl wahrnehmen, zeigt ein Blick in Rezensionsforen jugendlicher Leser, die im folgenden Abschnitt zur Populärrezeption etwas näher betrachtet werden.

Populärrezeption

Ein Blick in Rezensionsforen im Internet zeigt, dass Noch lange danach bei jugendlichen Lesern ein geteiltes Echo hervorruft (vgl. z.B. http://kleinbrina.wordpress.com/2013/01/27/gudrun-pausewang-noch-lange-danach). Kritik erfährt das Buch hier im unmittelbaren Vergleich mit der Wolke, wenn z.B. eine jugendliche Rezensentin berichtet, sie sei fälschlicherweise davon ausgegangen, es handele sich bei Noch lange danach um eine Fortsetzung der Wolke, woraus dann eine Enttäuschung resultiert (vgl. ebd.). Auch die sprachlich-literarische Gestaltung ruft Irritation hervor: "Das gesamte Buch stellt ein Interview dar, wobei zu erwähnen ist, dass man keine Ahnung hat, auf welche Fragen sie antwortet" (ebd).

Literatur

  • Gaschke, Susanne: Lehrerin der Angst. In: Die Zeit (31.12.2003).
  • Jahnke, Uwe: Gudrun Pausewang im Jahr nach Fukushima: Zur Produktion politisch engagierter Jugendliteratur am Beispiel von Noch lange danach (2012). In: kids+media 1/2013. S. 90-112.
  • Kruse, Iris: Die (Un-)Wirksamkeit der Warnung. Zur Rezeption ökologischer Dystopien. In: JuLit 1/2014. S. 30-35.
  • Pausewang, Gudrun: Wer gewarnt wird, darf hoffen. Menschliches Fehlverhalten und seine Folgen. In: JuLit 1/2014. S.11-13.

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