Inhalt

Duncan staunt nicht schlecht, als er eines Tages statt seiner Wachsmalstifte einen Stapel Briefe entdeckt. Und zwar nicht irgendwelche Briefe, sondern Beschwerdebriefe. Denn seine Stifte sind unzufrieden und stellen aus Protest ihre Arbeit ein. In 12 Briefen kommt je eine Farbe zu Wort und stellt Forderungen und Wünsche an Duncan: Rot fühlt sich überarbeitet und braucht dringend eine Pause, die ordnungsliebende Lila mag es gar nicht, wenn über den Rand gemalt wird, und Schwarz hat es satt, immer nur für Umrandungen herhalten zu müssen. Ganz zu schweigen von Gelb und Orange, die sich ständig darüber streiten, wer die Farbe der Sonne ist. Das treibt sogar Grün, einen sonst sehr zufriedenen Wachsmaler, fast in den Wahnsinn…

Wie soll Duncan nur alle diese Probleme lösen? Schließlich beherzigt er die Wünsche seiner Stifte und findet in einem neuen Bild für (fast) alle Farben eine Lösung.

Kritik

Alle 12 Wachsmalstifte kommen in diesem Bilderbuch in einem eigenen Brief zu Wort – und offenbaren dem Lesenden dadurch ihren individuellen Charakter. Da ist beispielsweise der traurige beige Stift, der sich immer als zweite Wahl nach Braun fühlt und fast nur Getreide malen darf. Dabei wären ihm Bären, Ponys oder Hundebabys so viel lieber. Oder Grau, der von all den riesigen Elefanten, Nashörnern und Buckelwalen, die er malen muss, ganz schön müde ist und sich stattdessen lieber Kieselsteine zum Ausmalen wünscht.

Jeder Farbe ist dabei eine Doppelseite mit stets identischem Aufbau gewidmet, was für eine klare Struktur sorgt, im Laufe des Buches jedoch etwas langweilig wird: Auf der linken Seite ist der Brief zu lesen, rechts sind jeweils Beispielzeichnungen aus dem Brief abgebildet. Dabei fällt sofort die gelungene und ungewöhnliche Mischung aus Fotografie und Zeichentechnik ins Auge: Die Briefe sowie verschiedene Seiten aus einem Malbuch sind als Fotografien dargestellt, das vergilbte Papier ist mit einer krakeligen Handschrift in der jeweiligen Wachsmalfarbe beschrieben, was an eine Kinderschrift erinnert und sehr gelungen und passend ist. Man kann sich jedoch die Frage stellen, warum alle Stifte die gleiche Handschrift haben. Passend zum Stil der Handschrift sind auch Oliver Jeffersʼ Illustrationen im Kinderstil: Krakelige Wachsmalbilder sowie über die Linien ausgemalte Flächen sorgen für bewusst amateurhaft wirkende Zeichnungen. Daneben sorgen die abgebildeten Farbstifte durch ihre einfache, aber klare Mimik für Erheiterung. Dazu trägt auch ihr Wortwitz bei, wenn beispielsweise Schwarz sarkastisch feststellt: "Die anderen Farben halten sich alle ja für sooo viel heller."

Auch die Erzählweise des Bilderbuchs ist bemerkenswert: So treten sowohl Duncan als auch die Stifte nur indirekt durch die Briefe bzw. einen kurzen Erzähltext auf. Eine unmittelbare Kommunikation zwischen beiden Parteien findet nicht statt. Auch eine Reaktion der Stifte auf Duncans veränderten Malstil bleibt aus, wäre jedoch sehr spannend, da er sich in seinem neuen Bild redlich bemüht, allen Wünschen gerecht zu werden – und dennoch nicht jede Farbe glücklich machen kann. Das Ende der Geschichte bleibt somit etwas unbefriedigend und wirft gleichzeitig eine entscheidende Frage auf: Mit welchen Stiften malt Duncan das neue Bild, wo seine Wachsmaler doch offensichtlich abgehauen sind? Oder haben sie ihren Streik beendet und sind in ihre Schachtel zurückgekehrt?

Trotz einiger Unstimmigkeiten eignet sich die Briefgeschichte gut, um mit Kindern über die stereotype Verwendung von Farben zu sprechen. Das Bilderbuch lädt ein zum Ausprobieren und Kreativwerden jenseits aller Konventionen. So ist auch bei Duncan am Ende ein veränderter Umgang mit seinen Farben zu beobachten. Weiterhin können eine geschlechtsspezifische oder jahreszeitenbedingte Nutzung von Farben sowie Farbgegensätze oder der Streit um die "richtige" Farbe Themen für eine Anschlusskommunikation darstellen.

Fazit

Der Streik der Farben ist vor allem eins: ein liebenswertes Bilderbuch voller Humor mit einer sehr originellen, ungewöhnlichen Idee und wunderbar krakeligen Kinderzeichnungen von Oliver Jeffers. Einzig die Story weist kleinere Schwächen und Längen auf, ist aber dennoch für kleine wie große Künstler und Künstlerinnen ab vier Jahren zu empfehlen. Zu recht hat die Briefgeschichte über personalisierte Wachsmalstifte in der Krise es auf die New York Times Bestsellerliste geschafft. Denn trotz eines nicht ganz zufriedenstellenden Endes üben Drew Daywalt und Oliver Jeffers auf amüsante Weise Kritik an konventionellen Farbverwendungen und plädieren in ihrem Werk für mehr künstlerische Freiheit und Fantasie. Es bleibt daher zu hoffen, dass auch die Fortsetzung "The Day the Crayons Came Home" (2016) irgendwann einmal auf Deutsch erscheinen wird.

Titel: Der Streik der Farben
Autor/-in:
  • Name: Daywalt, Drew
Originalsprache: Englisch
Originaltitel: ‎ The Day the Crayons Quit
Übersetzung:
  • Name: Schaub, Anna
Illustrator/-in:
  • Name: Jeffers, Oliver
Erscheinungsort: Zürich
Erscheinungsjahr: 2016
Verlag: NordSüd
ISBN-13: 978-3-314-10359-9
Seitenzahl: 40
Preis: 16,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 4 Jahre
Daywalt, Drew/Jeffers, Oliver: Der Streik der Farben