Inhalt und Gameplay

In Cloudpunk übernehmen Spieler*innen die Rolle von Rania, einer jungen Frau, die kürzlich nach Nivalis gezogen ist – der größten Stadt der Welt. Rania kommt eigentlich aus einer fernen ländlichen Region, musste aber aufgrund von Schulden nach Nivalis ziehen, um dort nun für den nur halb-legalen Lieferdienst 'Cloudpunk' als Lieferfahrerin zu arbeiten. Es gibt dabei nur zwei Regeln: "Verpasse keine Lieferung und frag nicht, was in dem Paket ist."

Nivalis ist nicht nur die größte Stadt der Welt, sie ist auch eine der dunkelsten – denn eine undurchdringliche Decke aus Wolken macht es ihren Bewohner*innen unmöglich, den Himmel zu sehen (Abb. 1). Fast allen zumindest – denn es gibt den sogenannten 'Spire', einen riesigen Wolkenkratzer, der bis über die Wolkendecke reicht und die Sicht auf den freien Himmel ermöglicht. Zutritt zu diesen hohen Etagen ist jedoch nur den reichsten Bürger*innen möglich, die meist als CEO für die Firma arbeiten. Typisch für das Cyberpunk-Genre kontrolliert die Firma in Nivalis alles; sie ist Regierung, Polizei und Schuldeneintreiber zugleich.

Gleichzeitig befindet sich die Stadt in einem strukturellen Zerfall: Sie ist in ferner Vergangenheit erbaut worden, aus Materialien und Technik, die keiner mehr versteht oder reparieren kann. Schlimmer noch: Die gesamte Infrastruktur der Stadt wird durch die gottähnliche künstliche Intelligenz 'CORA'  gesteuert, die langsam zu zerbrechen scheint.

Liemann Cloudpunk Abb 1Abb. 1: Wolkenbedeckter Himmel von Nivalis. Eigener Screenshot. Cloudpunk (2020).
Spieler*innen müssen in dieser Welt nun Lieferungen ausfahren und können diese dabei erkunden. Das Spielprinzip ist dabei recht simpel und verändert sich auch während der ca. zehn Stunden Spielzeit nicht. Die Spielenden holen zuerst eine Lieferung von Punkt A ab und fliegen dann mit dem 'HOVA', Ranias Lieferfahrzeug, durch den dichten Stadtverkehr, um bei Punkt B zu parken. Der Rest des Weges wird dann zu Fuß absolviert und das Paket an die Zielperson übergeben. Währenddessen können Spieler*innen jederzeit zwischen First- und Third-Person-Ansicht wechseln.

Dabei wird die Handlung über Dialoge erzählt, die als Textfeld eingeblendet werden, aber auch (zumindest in englischer Sprache) vollständig synchronisiert sind. Die deutsche Übersetzung bleibt auf die Textfelder und Benutzeroberfläche beschränkt. Jede Lieferung erzählt ihre eigene kleine oder große Geschichte. Weiterhin gibt es gelegentlich verschiedene Handlungsmöglichkeiten, die Spieler*innen in moralische Dilemmata bringen. Liefern sie ein mysteriös tickendes Paket aus, obwohl es eine Bombe enthalten könnte? Oder entsorgen sie das Paket, riskieren dadurch aber den für Rania so wichtigen Job?

Liemann Cloudpunk Abb 2Abb. 2: Gameplay. Eigener Screenshot. Cloupdpunk (2021).

Nach erfolgter Landung können Spieler*innen Nivalis zu Fuß erkunden, Gegenstände sammeln und mit NPCs sprechen, die oft kleine, amüsante Geschichten zu erzählen haben. Auch können kleine Nebenquests abgeschlossen werden, wie beispielsweise einen unter Burnout leidenden Fahrstuhl wieder zum Fahren zu bringen.

 Liemann Cloudpunk Abb 3Abb. 3: Interaktion mit einem NPC. Eigener Screenshot. Cloudpunk (2020).

Kritik

Das Cyberpunk-Genre erfreut sich aktuell enormer Beliebtheit. Große Filme wie Blade Runner 2049 und Game-Releases wie Cyberpunk 2077 oder Deus Ex: Mankind Divided haben in den letzten Jahren erneut Aufmerksamkeit auf die neonbeleuchteten Dystopien dieses Genres gezogen, dessen Themen gerade heute nicht an Aktualität eingebüßt haben. Trotz der aktuell starken Sättigung im Bereich Cyberpunk schafft es Cloudpunk, eine eigene und frische Interpretation des Genres abzuliefern.

Zunächst wäre die an Retro-Games der 8-Bit-Ära angelehnte Grafik von Cloudpunk zu erwähnen. Diese Art des Rendering heißt 'Voxel-Art' und besteht ausschließlich aus 3D-Würfeln. Die simplen Modelle werden in Cloudpunk mit wirkungsvollem Neon-Licht ausgeleuchtet und mit modernen Techniken gerendert, sodass eine einzigartige und wunderschöne Spielwelt entsteht. Die Verbindung der nostalgischen, an veraltete Technologie erinnernden Ästhetik mit dem Cyberpunk-Genre erscheint intuitiv. Zudem schafft die Grafik von Cloudpunk den visuellen Spagat zwischen Ernsthaftigkeit und Humor, was die Story des Spiels perfekt unterstützt – denn auch die Geschichte bewegt sich zwischen ernsten Themen auf der einen und humorvoller Absurdität auf der anderen Seite.

Ergänzt wird die nostalgische Grafik durch das stimmungsvolle Sounddesign, das prasselnden Regen und den wunderbar melancholischen Synth-Soundtrack mischt. Grafik und Sound lassen so eine dichte Atmosphäre entstehen, die es Spielenden leicht macht, in die Welt von Nivalis einzutauchen.

Als etwas unschön fallen jedoch gelegentlich Teile der Synchronisation auf. Besonders die Stimme von Protagonistin Rania kann etwas hölzern wirken und lässt wenig Emotionalität oder Bindung zu den Geschehnissen im Spiel erkennen. Andere Sprecher*innen können in das gegenteilige Extrem umschlagen und etwas zu überzogene Performances abliefern, die gelegentlich ins Alberne abdriften.

Das Gameplay von Cloudpunk ist angenehm unaufgeregt, ohne dabei langweilig zu sein. Das HOVA ist aufgrund des dichten Verkehrs und der (für ein Fahrzeug dieser Art angemessen) schwerfälligen Steuerung überraschend schwierig unfallfrei zu steuern. Trotzdem entsteht durch die dichte Atmosphäre und die immer wieder gleichen Abläufe schnell ein durchaus meditativer Sog, dem es sich schwer zu entziehen ist – eine Wirkung, die einer nächtlichen Autofahrt über eine einsame Landstraße nicht unähnlich ist.

Ist man jedoch zu Fuß unterwegs, können die verschiedenen Ebenen der Spielwelt, die nur über bestimmte Punkte gewechselt werden können, ab und zu für Frustration sorgen. Hier kann es schwerfallen, den korrekten Weg zur Zielperson zu finden. Dabei bietet Cloudpunk trotz seines generell niedrigen Schwierigkeitsgrades leider keine Hilfestellungen in Form von Wegweisern oder Ähnlichem an.

Ferner gibt es innerhalb der ca. zehn Stunden Spielzeit keinerlei Variationen oder Entwicklungen in der Spielmechanik, was gerade in längeren Spielsitzungen anfängt, repetitiv zu wirken. Diese gewisse Abstumpfung könnte allerdings auch als gelungene spielmechanische Übersetzung von Ranias Arbeit verstanden werden. Immerhin ist sie eine Lieferfahrerin, die diese Arbeit nur ausführt, um ihre Miete und Schulden zahlen zu können. Ihre Arbeit ist repetitiv und abstumpfend. Diese Verbindung von Gameplay und Ranias Arbeit wird ebenfalls deutlich, wenn Spieler*innen ihr erstes Gehalt fast vollständig auf Reparaturen und Benzin verwenden müssen. Das Gameplay verbindet sich somit nahtlos mit der Geschichte, über die zuletzt noch einige Worte zu verlieren sind.

Liemann Cloudpunk Abb 4 Abb. 4: Blick aus dem Cockpit. Eigener Screenshot. Cloudpunk (2020).

Cloudpunk nutzt seine Neon-Kulisse, um sich in seiner Geschichte Fragen von Arbeitsbedingungen und sozialer Ungleichheit zu widmen. So transportieren Spieler*innen in einer Quest den Kopf eines Androiden, der an ein großes Unternehmen verkauft wurde und nun voller Vorfreude von seiner baldigen, sicher wichtigen Arbeit und dem zugehörig großen Gehalt träumt – nur um bei Abgabe des Pakets zu erfahren, dass er als Putz-Roboter arbeiten wird.

Auch Rania selbst gehört zur Arbeiterschicht der Stadt. Sie ist eigentlich Musikerin, jedoch zu der gefährlichen Arbeit als Lieferfahrerin gezwungen, um ihre Schulden und Miete zahlen zu können. Denn Nivalis selbst ist eine Stadt, die von kaum etwas so stark geprägt ist wie von sozioökonomischer Ungleichheit. In einer der Quests transportiert Rania beispielsweise ein reiches Ehepaar zu dessen neuer Wohnung – aus der eine ärmere Familie im Zuge der Gentrifizierung verdrängt wurde. An anderer Stelle soll Rania das Hab und Gut eines jungen Mannes an seine Eltern ausliefern, weil dieser sich mit einem Fahrstuhl über die Wolken schießen lässt, nur um einmal in seinem Leben den Himmel sehen zu können – auch wenn es keinen Weg mehr nach unten gibt.

All diese kleinen Geschichten fügen sich stimmig zu einer zentralen Thematik zusammen. Tatsächlich widmet sich Cloudpunk tiefgehender als so einige seiner ernsteren und größeren Geschwister den eigentlich wesentlichen Themen des Cyberpunks. Zu oft adaptieren andere Werke wie bspw. Cyberpunk 2077 lediglich die Ästhetik des Genres, ohne seinen Inhalten gerecht zu werden. Dies ist bei Cloudpunk nicht der Fall. Und doch verfällt Cloudpunk im Gegensatz zu vielen anderen Vertretern des Genres trotz seiner dystopischen Welt nicht dem Pessimismus oder Zynismus. Die zahlreichen witzigen und herzerfüllten Interaktionen mit anderen Figuren lockern die eigentlich düstere Cyberpunk-Dystopie auf und bieten einen willkommenen Gegenpol.

Fazit

In der Blütezeit von Firmen wie Lieferando, Deliveroo, Uber Eats und Co. erscheint Cloudpunk zunehmend relevant. Ohne Zynismus, stattdessen mit Humor und Empathie erzählt es in vielen kleinen Geschichten vom Arbeiten in der Gig Economy. Dabei überzeugt es trotz einiger Macken mit einem gelungenen Zusammenspiel aus Grafik, Sounddesign, Gameplay und Geschichte und steht den Big-Budget Vertretern des Genres in nichts nach. Im Gegenteil: Anstatt lediglich die Genre-Ästhetik zu adaptieren, behandelt Cloudpunk gesellschaftliche Themen deutlich tiefgehender als viele Spiele dieses Genres – und dies mit einer Menge Witz und Charme.

Wer der immer gleichen Düster-Dystopien des Cyberpunks langsam müde wird oder einfach nur eine ansprechend und humorvoll erzählte Geschichte sucht, sollte daher einen Blick auf Cloudpunk werfen. Trotz der Abwesenheit von Gewaltdarstellungen o.Ä. ist das Spiel aufgrund der komplexeren und stellenweise ernsten Thematik eher älteren Kindern (und Erwachsenen) ab 12 Jahren zu empfehlen.

Titel: Cloudpunk
Plattformen: Sony Playstation 4, Microsoft Windows (PC), Nintendo Switch, Microsoft Xbox One
USK: 12 Jahre
Entwicklungsstudio: ION LANDS
Erscheinungsjahr: 2020
Altersempfehlung Redaktion: 12 Jahre
ION LANDS: Cloudpunk