Inhalt und Gameplay

Eingeleitet wird das VR-Spiel Down the Rabbit Hole durch eine Rahmenhandlung: Ein Großvater soll seiner Enkelin eine Gutenachtgeschichte zum Einschlafen erzählen. Kurzerhand jedoch übernimmt die Enkelin die Geschichte und erzählt von einem Mädchen, das sich auf die Suche nach ihrem verloren gegangenem Haustier macht.

Mit dem Wechsel von der großväterlichen Rahmenhandlung hin zur fantastischen Binnenerzählung der Enkelin beginnt das tatsächliche Spiel und man findet sich selbst inmitten eines düsteren, verwunschenen Waldes wieder, in dem ein junges, mit Hängetasche, Boots und Cape ausgerüstetes Mädchen herumirrt und lautstark "Patches" ruft. Auf ihrem Weg durch das Dickicht trifft die Protagonistin auf eine erleuchtete Hütte, zu der sie sich Zutritt verschafft und schnell wird klar, dass es sich bei Patches um ihr verschollenes Haustier handelt. Gesteuert wird das noch namenlose Mädchen fortan via Handcontroller durch die spielende Person. Während man mithilfe der Protagonistin die Hütte durchsucht, wird sie auf eine Holzluke im Boden aufmerksam und fällt versehentlich beim Hinabklettern von der Leiter herab – ein schier ewiger Sturz in eine wundersame Welt steht ihr bevor.

Das Mädchen fällt so lange hinab, bis sie auf dem unendlich scheinenden Weg schlussendlich ihr Gedächtnis verliert und sowohl ihre eigene Lebensgeschichte, als auch alles über das verschollene Haustier vergisst. Der Sturz endet im Arbeitszimmer eines weißen Kaninchens und wird durch einen weichen Berg von Briefumschlägen abgefedert, die es durch den Aufprall in alle Himmelsrichtungen verstreut. Völlig entsetzt und aufgebracht stellt das Kaninchen die Protagonistin zur Rede und verdeutlicht die Wichtigkeit der verloren gegangenen Umschläge; denn bei diesen Briefen handelt es sich um die persönlichen Einladungen der gefürchteten Königin zu ihrer pompösen Party. 

Das Kaninchen fürchtet um das Leben seiner Kaninchenbabys, da die Königin im ganzen Land dafür bekannt ist, bei Ungehorsam den Untertanen den Kopf abschlagen zu wollen. So erbittet das Tier bei der für das entstandene Chaos Verantwortlichen um Hilfe bei der Suche nach den abhanden gekommenen Einladungen, um dieser Grausamkeit entkommen zu können. Das Mädchen willigt ein und fortan beginnt eine Reise durch eine wundersame, kunterbunte Spielwelt, die gleich drei Ziele verfolgt: eine Suche nach dem verloren gegangen Haustier Patches, nach den verstreuten Einladungen und nach der aus dem Gedächtnis entfallenen Identität der Protagonistin.

Cortopia Studios Down the Rabbit Hole Abb 1Abb. 1: Ausschnitt aus der 360°-Dioramenwelt. Screenshot aus Down the Rabbit Hole (2020).

Die 360°-VR-Spielwelt in Down the Rabbit Hole entfaltet sich nach und nach in Form von einzelnen Dioramen um die spielende Person herum. Mit den Handcontrollern kann man hierbei die Protagonistin durch die jeweiligen Quests innerhalb der Dioramen führen, die sich nach erfolgreicher Absolvierung der kniffligen Aufgaben nebeneinander spiralförmig immer tiefer führend aufbauen (s. Abb. 1).

Dabei findet sich die spielende Person selbst inmitten der erscheinenden 360°-Dioramenwelt wieder und kann sich – unabhängig von der Steuerung des Mädchens innerhalb der Dioramen – zusätzlich in alle Richtungen umschauen. Die Fortbewegung der körperlichen Präsenz der Spielenden ist in diesem Fall passend zur Thematik gestaltet: Um sich in der Spielwelt seitlich, hoch- oder abwärts zu bewegen, muss man sich lediglich an den aus den Dioramen ragenden Wurzeln festhalten und in die gewünschte Richtung schieben. Die Hände der spielenden Person werden hierbei in Form von zwei blau-leuchtenden Kugeln angezeigt, mit denen man in der Spielwelt agieren kann. Zusätzlich gibt es interaktiv gestaltete Cut-Scenes, bei denen man sich als Spieler*in plötzlich direkt in einem der Dioramen wiederfindet und nun ausschließlich die Perspektive des Mädchens teilt (s. Abb. 2).

Cortopia Studios Down the Rabbit Hole Abb 2Abb. 2: Narrative Interaktionsmöglichkeiten. Screenshot aus Down the Rabbit Hole (2020).

Neben den ludischen Interaktionsmöglichkeiten in diesem VR-Game können die Spielenden demnach auch den narrativen Verlauf der Geschichte bewusst beeinflussen. So muss man beispielsweise innerhalb eines Dialoges mit anderen Figuren entscheiden, welche Antwort man geben bzw. Frage man als nächstes stellen möchte (s. Abb. 2). Diese Entscheidungen der spielenden Person hat zwar geringen Einfluss auf den Verlauf der Handlung rund um das namenlose Mädchen, zeigt jedoch den multilinearen Charakter dieses Spieles auf und hilft dabei, die Erinnerung der Protagonistin wieder zu Tage zu fördern.

Kritik

Mit Down the Rabbit Hole liefert das Entwicklerteam von Cortopia Studios eine hochgradig intertextuelle und humorvolle literarische VR-Adaption in Anlehnung an Lewis Carrolls Werke Alice im Wunderland (1865) und Alice hinter den Spiegeln (1871). Bei alledem wird das kunterbunte Potpourri der aus den Originalwerken bekannten Figuren (s. Abb. 3), wie zum Beispiel der Grinsekatze, dem verrückten Hutmacher oder der Herzkönigin, mit neuen Figuren erweitert (vgl. Cortopia 2022). Ferner werden manche Spielhandlungen gewissen Erzählsituationen der Ursprungswerke nachempfunden: So wächst und schrumpft auch die Protagonisten – die im Verlauf des Spieles herausfindet, dass sie Ellie heißt – im VR-Game, nachdem sie etwas Falsches gegessen hat oder sie kann durch die Spiegel hindurchgehen, um neue Dioramen bzw. Spielwelten zu erreichen (vgl. dazu Carroll 2012). Hierbei machen auch die Spielfigurenwechsel einen bestimmten Reiz aus: Während man im einen Moment noch Ellie steuert, deren Name wohl nicht nur zufällig sehr nah an der Aussprache von Alice liegt, ist sie im nächsten Augenblick so groß gewachsen, dass sie im Raum gefangen ist. Um sie wieder zum Schrumpfen zu bewegen, muss man das bevorstehende Rätsel mit einer anderen Figur lösen. Hierfür bedienen sich die Entwickler*innen immer wieder innovativen ludischen Kniffen, die keine Langeweile entstehen lassen.

Cortopia Studios Down the Rabbit Hole Abb 3Abb. 3: Bekannte Figuren – die Raupe Absolem. Screenshot aus Down the Rabbit Hole (2020).

Des Weiteren wurde beim Sound Design besonders Wert auf die Passgenauigkeit gewisser Tongestaltungen zur jeweiligen Spielszene gelegt. Demnach ist es kein Zufall, dass die Melodie des ewigen Sturzes der Protagonistin ebenfalls unendlich erscheint, während die Taktung der Musik beim Uhrenrätsel dem Ticken der Uhren angeglichen ist (vgl. dazu Cortopia 2021). Eben diese Feinfühligkeit bei der musikalischen und tonalen Untermalung dieses VR-Games ist ein immanenter Faktor, der es den Spielenden rasch ermöglicht, sich in der phantasievollen Spielwelt zu verlieren.

Überaus bemerkenswert ist in Down the Rabbit Hole das Level Design, denn mit dem wachsenden Spielfortschritt arbeitet man sich im wahrsten Sinne des Wortes immer weiter hinab in die tiefsten Tiefen des Kaninchenbaus. Mit jedem neu erscheinenden Diorama begibt man sich als spielende Person folglich tiefer in das Loch der Spielwelt. Auf diese Weise wird die VR-Spielwelt nicht nur dem eigenen Titel gerecht, sondern liefert implizit eine Auflösung der bis dato nur metaphorischen Verwendung der ‚Tiefen des Kaninchenbaus‘ als verzwicktes Versteck der ultimativen Wahrheit. Durch die 360°-Darstellung im VR-Game wird der Raum für die Spielenden physisch erfahrbar gemacht. Wirft die spielende Person einen kurzen Blick nach oben, so ist das funkelnde Licht der sternenklaren Nacht außerhalb des Loches zu sehen und die Spielwelt erscheint in ihrem vollen Glanze (s. Abb. 4).

Cortopia Studios Down the Rabbit Hole Abb 4Abb. 4: Der Blick aus dem Kaninchenbau. Screenshot aus Down the Rabbit Hole (2020).

Letzten Endes sind es jedoch die abschließenden Worte des Großvaters, die die Spielenden gewiss mit einem Staunen zurücklassen: Denn erst durch seinen Gute-Nacht-Wunsch "Sweet dreams, Alice", wird ersichtlich, dass es sich bei der Erzählerin der Rahmengeschichte – seiner Enkelin – wohl um keine andere Person als Alice selbst handeln soll.

Die Komfortstufe dieses VR-Abenteuers ist als überaus angenehm zu bewerten. Down the Rabbit Hole kann demnach getrost als Einstieg in die Welt der VR-Games empfohlen werden. Die ungefähre Spieldauer beträgt drei Stunden.

Fazit

Kaum schöner hätte man sich eine literarische Adaption des Carroll’schen Wunderland-Universums in die Welt der Virtual Reality wünschen können. Vor allem die ausgeklügelte ästhetische Gestaltung der Storyworld kann auf allen Ebenen überzeugen. Mit Down the Rabbit Hole liefert das Entwicklerstudio Cortopia ein unvergessliches, farbenfrohes VR-Abenteuer das mit Sicherheit sowohl bei Kenner*innen der Originalwerke, als auch Neulingen des Alice im Wunderland-Stoffes für eine freudvolle Zeit sorgen kann. Dass diese Zeit leider durch die knappe Spieldauer etwas kurz gerät, ist zwar schade, tut aber der eindringlichen Rezeption des liebevoll gestalteten VR-Adventure-Puzzlespieles keinen Abbruch. Down the Rabbit Hole bleibt folglich ein Muss, für alle Alice-Fans oder diejenigen, die es noch werden wollen. Generell ist das Spiel für eine Spielerschaft ab sechs Jahren zu empfehlen.

Literatur

Carroll, Lewis (2012): Alice’s Adventures in Wonderland and Through the Looking Glass. London: Penguin English Library.

Cortopia Studios (2020): Down the Rabbit Hole. Meta (Oculus) Quest II.

Cortopia Studios (2021): Interview with the Original Soundtrack composer Michael Gordon Shapiro. (Abruf: 15.09.2022). Hier online abrufbar.

Cortopia Studios (2022): Down the Rabbit Hole. (Abruf: 15.09.2022). Hier online abrufbar.

Titel: Down the Rabbit Hole
Plattformen: Sony Playstation VR, Windows Mixed Reality, Meta Rift, Meta (Oculus) Quest, Meta (Oculus) Quest 2, Valve Index, HTC Vive
USK: 6 Jahre
Entwicklungsstudio: Cortopia Studios
Erscheinungsjahr: 2020
Altersempfehlung Redaktion: 6 Jahre
Cortopia Studios: Down the Rabbit Hole