Inhalt

Der Sammelband Illustrators in Residence, herausgegeben von Tobias Kurwinkel, Ina Brendel-Kepser und Andrea Bartl, vereint die Erfahrungen und Erkenntnisse, die Mitarbeitende und Studierende der Universitäten Bamberg und Duisburg-Essen sowie der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe durch eigens strukturierte Veranstaltungsreihen gewinnen konnten. Diese Publikation ermöglicht einem breiteren Publikum ebenfalls Zugang zu den Inhalten dieser Veranstaltungen. Anstelle von Protokollen beschreiben 13 Autor*innen aus verschiedenen Perspektiven die Arbeit der vorgestellten Gast-Illustrator*innen.

Als zentrale Figuren wurden die in Hessen lebende Illustratorin Antje Damm und der Hamburger Illustrator Tobias Krejtschi ausgewählt. Beiden ist jeweils eine Hälfte des Buches gewidmet. Die Lesenden erfahren zu Beginn im jeweiligen Startkapitel etwas über den Werdegang des Künstlers beziehungsweise der Künstlerin, wie sie zur Illustration kamen und welche Erfolge sie bereits feiern durften. Mehrere Titel ihres Portfolios werden in den anschließenden Beiträgen hervorgehoben. Dabei wird stets die Wirkung der Bilder und ihr Wechselspiel mit dem Text beachtet. Der jeweils letzte Beitrag zu Damm beziehungsweise Krejtschi und eine Besonderheit in Illustrators in Residence gehört den Kunstschaffenden selbst. In einem exklusiven Interview für den Band lassen sie das Publikum an ihrer künstlerischen Arbeit teilhaben, indem sie die Fragen in Form von Illustrationen beantworten. Sie beschreiben dabei, wie sie zu einer Idee kommen und erlauben einen persönlichen Einblick in ihre Gewohnheiten. Tobias Krejtschi hat außerdem den Umschlag dieser Ausgabe gestaltet.

Kritik

Der englische Terminus "in Residence" ist weise gewählt. Durch die engagierte Recherche, Reflexion und Ausarbeitung der einzelnen Beiträge wird schon im Vorwort deutlich, dass neben dem fachlichen Interesse auch eine gewisse Zuneigung zum Genre Bilderbuch beziehungsweise illustrierten Kinderbuch bei den Beteiligten vorhanden ist und sie sich in diesem Literaturgenre ebenso Zuhause fühlen, wie es die vorgestellten Künstler*Innen vermutlich tun. Auch, wenn die gesammelten Beiträge nur einen Bruchteil der Möglichkeiten abdecken, die man zu den Werken von Damm und Krejtschi erforschen könnte, so sind die tatsächlich bearbeiteten Aspekte so zugänglich niedergeschrieben, dass man sich bereitwillig auch solchen Aspekten zuwendet, die man selbst sonst eher nicht ins Auge gefasst hätte.

Fürs Auge ist auch das von Tobias Krejtschi gestaltete Cover. Er zeigt sich dort als Selbstportrait in einem Waldszenario gemeinsam mit einer Darstellung von Antje Damm. Ein Wanderstock ist hier eine überdimensionale Schere, der Rucksack ein riesiges Buch, das den passend großen Bleistift untergeschnallt hat. Seine Wahl der natürlichen Umgebung ist interessant. Als Lesende*r erfährt man in den illustrierten Interviews, dass sowohl Damm als auch Krejtschi sich der Natur gerne bedienen, um Ideen zu entwickeln, sie aufzuräumen oder den Kopf gar von ihnen freizubekommen. Im Laufe der Lektüre wird klar, dass es bei der Fülle der Kreativität, ausgezeichneten Handwerklichkeit und Übertragbarkeit auf die Leben des Publikums, den Illustrierenden unbedingt vergönnt sei, die Natur als Ressource zu nutzen.

Antje Damm beispielsweise fordert und fördert ihre Leserschaft durch ihr Engagement für das 'literarische Lernen', was beispielsweise in mehreren Beiträgen erwähnt wird. Der philosophische Gesprächsansatz nimmt einen besonderen Stellenwert in Antje Damms Arbeit ein, wie Andreas Nießeler es in seinem Beitrag zum Fragebuch Ist 7 viel? (2003) und Berbeli Wanning am Beispiel des – wie sie es nennt – "ökologischen" (S. 47) Buches Was wird aus uns? Nachdenken über die Natur (2018) unterstreichen. Ob Damm nun durch ein Bild und eine dazugehörige Frage dazu auffordert, über ein Ende des Himmels oder den Unmut von Löwenzahn ins Gespräch zu gehen, ihre Zielgruppe geht dabei nie verloren, sondern wird zum selbstständigen Denken aufgefordert. Berbeli Wanning beschreibt die Wirkung der konzeptionellen Entscheidungen von Antje Damm so: "Alle Frageformate schulen zugleich das freie Reden, Eröffnen oder Intensivieren das Gespräch über Natur auch über die dazugehörigen Bilder." (S. 55) Andreas Nießeler resümiert in seinem Teil des Beitrages bezüglich des Philosophierens mit Kindern: "Antje Damms Fragen führen also direkt in philosophische Denkbewegungen ein und setzten sich mit Selbst und Welt auseinander. Sie wecken und bestärken das Interesse am Nachdenken und regen dazu an, sich auf die Erfahrungen des Denkens einzulassen." (S. 72) Jana Mikota und Nadine J. Schmidt greifen in ihrem Beitrag die Beschreibung des Tulipan Verlages zu Damms Büchern als "kleine Romane" (S. 85) auf, bekräftigen die Nähe der Titel zum "psychologischen Kinderroman" (S. 85) und weisen zudem auf die Bedeutung für den Leselernprozess junger Kinder hin. Ihre literaturdidaktische Perspektive bezieht sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse zur Leseförderung und den Effekt, den Damms Arbeiten auf eben diesen haben können. Im letzten Kapitel zu Antje Damms Abschnitt kommt die Illustratorin dazu selbst zu Wort. Sie beschreibt, welchen Stellenwert der Kontakt mit ihren jungen Lesenden hat und was sie dazu antreibt, sich immer wieder selbst als Vorleserin und Partnerin in philosophischen Diskussionen zu engagieren.

Auch Tobias Krejtschi kommt bezüglich des Kontaktes zu seiner Zielgruppe zu Wort. In einem von Sarah Wildeisen geführten Interview erklärt er: "Die Figuren sind mit am wichtigsten. Mit ihnen erzeugt man einen direkten Bezug zum Betrachter" (S. 145). Wenn er doch nicht selbst bei jeder Bilderbuchtbetrachtung zugegen ist, so ist es ihm doch ein Anliegen, seinen Leser*innen eine Verbindung zu seinen Figuren zu ermöglichen. Eine Nähe zur Leserschaft erschafft Krejtschi außerdem über etwas, was Anneliese Reiter und Michael Ritter in ihrem Beitrag "Fantastische Problemorientierung" (S. 157) nennen. Im Bilderbuch Meine Mutter, die Fee (2018), geschrieben von Nikola Huppertz, widmen sich Autorin und Illustrator zum Beispiel einem Mädchen, das sich mit einer an Depressionen erkrankten Mutter konfrontiert sieht. "Die Erscheinung der Flügel ist durchscheinend, eine dünne und regemäßig durchbrochene Linie" (S. 159), heißt es hier über das Aussehen der Mutter. Als "spannend" bezeichnend stellt das Autorenteam die Darstellung des Vaters "als massiger und runder Gegenpart der Mutter, […] mit kräftigem Oberkörper und dunklem Bart und doch mit rundem Rücken […]" (S. 159 ff.) dar. Welche Rolle die Illustrationen bei der Erforschung und Bewältigung dieses Thema insbesondere für Kinder haben können, wird zum Ende des Beitrages beschrieben. Anhand von Kinderperspektiven wurde ermittelt, welche Wirkung die Bilder und Texte auf das allgemeine Verständnis zum Verlauf der Geschichte hatten und sogar, ob ein über diese Ebenen "hinausreichendes Weiterdenken der Empfindungen der Figuren" (S. 171) zustande kam.

Hervorgehoben werden außerdem die didaktischen Möglichkeiten, die sich aus den Werken der Illustrierenden ergeben. Über die pappenden Installationen von Antje Damm schreibt Alexandra Ritter am Beispiel von Der Besuch (2015): "die inszenierte Räumlichkeit lenkt den Blick, lädt zum Erkunden ein und vermittelt Stimmungen" (S. 37). Weiterhin stellt sie klar: "Antje Damm selbst schlägt vor, mit den Kindern neue Papphäuser für Emil und Elise zu bauen" (S. 40). Der Beitrag geht weiter mit einer Art methodisch-didaktischen Handlungsempfehlung zur bildlichen Gestaltung, orientiert an der Handhabung des Kamishibai und erwähnt die Nutzung von Filtern, wie es im Social-Media-Bereich üblich ist. Diese Möglichkeit der Bearbeitung ist erwähnenswert, denn "hier werden auch medienästhetische und medienkritische Kompetenzen angebahnt" (S. 43), die besonders die jungendliche Leserschaft betreffen

Indem er die projektbezogenen Erfahrungen von Kindern beschreibt, erfahren die Lesenden durch Christoph Jantzen etwas über die Übertragbarkeit der kindlichen Kreativität auf die Arbeiten von Tobias Krejtschi. Er stellt zunächst fest, dass sich mehrere Titel als Grundlage für einen "problemorientierten Unterricht" (S. 176) nach dem Konzept Joachim Fritzsche, eignen. Weiter beschreibt Jantzen den Eindruck, dass die Illustrationen in Bilderbüchern bisher im schulischen Kontext eher als "schmückendes Beiwerk" (S. 176) verstanden wurden, wohingegen durch Schreibaufgaben, die die Erzählkraft von bewusst platzierten Bildern berücksichtigen, erst das narrative Zusammenspiel zwischen Bild und Text hervorgehoben wird und so die Rolle des Bilderbuches als intermediales Werkzeug zur Geltung kommt. In Folge daran fasst Jantzen drei Wege der Auseinandersetzung mit ebenso drei Titeln von Tobias Krejtschi zusammen. In diesen kurzen Dokumentationen erfahren Lesende einen Einblick in das jeweilige Buch; soll heißen, es werden Inhalt, Illustrationsstil und Farbgebung, sowie die Botschaft/en genannt. Daran anschließend gibt es einen Einblick in die Schreib- und Illustrationsaufgaben einer dritten, vierten und fünften Schulklasse, man erfährt etwas über die Planung und Zielsetzung der begleitenden Lehrkraft und darf sogar einzelne Ergebnisse aus den jeweiligen Jahrgängen begutachten.

Besonders wertvoll sind die aufgenommenen Kinderwerke und die Dialoge und Zitate, die aus Gesprächen mit Kindern gesammelt wurden. Dadurch kann den Lesenden auf beeindruckende Art verdeutlicht werden, welche Relevanz der philosophische Text- und Bildansatz für Kinder hat und wie bedeutsam ihre Ausführungen zu ihrer und unserer Welt sind.

Wer die Bilderbücher von Antje Damm und Tobias Krejtschi kennt, wird sich nicht weiter fragen, warum gerade diese beiden sich den ersten Sammelband in dieser Publikationsreihe teilen. Obwohl Damm nahezu jedes Buch in ihrer Historie als Illustratorin auch selbst getextet hat, wohingegen Krejtschis Bildgestaltung häufig den Texten bekannter Schreibenden eine verbildlichte Art Identität verleiht, treffen die beiden sich doch in der Furchtlosigkeit, auch schwierige Themen für die Kinder zugänglich zu machen. Sie appellieren beinahe an Erwachsene, Kinder in allen Bereichen des Lebens, auch den ungemütlichen, miteinzubeziehen. Ihre Bücher liefern Worte und Bilder für etwaige Sprachlosigkeit. Diese Erkenntnis findet nur in einigen Beiträgen Raum, was verwunderlich ist, da die Enttabuisierung von "heiklen" Themen anlassübergreifend betrachtet werden könnte.

Fazit

Als Lesende erfahren wir in dieser Ausgabe von Illustrators in Residence, wie die beiden Illustrierenden Tobias Krejtschi und Antje Damm ihre Werke entwickeln und gestalten. Umrahmt werden diese Beschreibungen von literaturwissenschaftlichen und pädagogisch-didaktischen Erkenntnissen, die sowohl von den Autor*innen aus der Veranstaltungsreihe als auch von den Illustrierenden selbst stammen. Dieses Buch richtet sich sowohl an Forschende und Lehrende der Kinder- und Jugendliteratur als auch an die Lesenden, die mit den Werken von Tobias Krejtschi und Antje Damm vertraut sind und sich eingehender mit ihnen beschäftigen möchten. Durch den direkten Bezug auf den tatsächlichen Austausch mit den Illustrierenden wirkt diese Ausgabe nah an der Praxis und gleichzeitig theoretisch informativ.

Titel: Illustrators in Residence. Band 1: Tobias Krejtschi. Antje Damm
Autor/-in:
Herausgeber:
  • Name: Tobias Kurwinkel
  • Name: Ina Brendel-Kepser
  • Name: Andrea Bartl
Erscheinungsort: Würzburg
Erscheinungsjahr: 2022
Verlag: Königshausen & Neumann
ISBN-13: 978-3-8260-7696-1
Seitenzahl: 208
Preis: 29,80€
Auf der Titelseite sind ein wandernder Mann und eine wandernde Frau auf einem Hügel vor einem Wald abgebildet. Die Daten der Publikation sind angegeben: Illustrators in Residence. Tobias Krejtschi. Antje Damm. Herausgegeben von Tobias Kurwinkel, Ina Brendel-Kepser und Andrea Bartl. Würzburg: Königshausen & Neumann 2022