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Auf der zweiten Tagung zur Verleihung des Josef Guggenmos-Preises in Irsee, dem Heimatort des Dichters, stand ausschließlich die Bedeutung von Kinderlyrik im Fokus. Dagegen nahm die Jahrestagung anlässlich des 80. Geburtstages von Paul Maar (*1937) vor allem das "Spiel mit Sprache" über das gesamte Gattungsspektrum seines Schaffens hinweg in den Blick und berücksichtigte neben der Lyrik und dem Kinderroman auch Illustration, Theater und auditive Medien sowie die Umsetzung im Deutschunterricht. Ergänzt wird der Sammelband um einen umfangreichen Dokumentations-Teil (S. 199-282), der die Preisverleihungen 2018 – einschließlich der Nominierungslisten –, Gratulationen zu "runden" Geburtstagen von Mitgliedern der Akademie sowie Rezensionen zu Ausstellungskatalogen und zu aktuell erschienenen Sekundärveröffentlichungen aus dem Bereich der Kinder- und Jugendliteratur umfasst.

Der erste Teil des Bandes befasst sich mit "Einblicken" in das Werk von Josef Guggenmos (S. 3-63) und umfasst fünf Autorenbeiträge. Hans-Heino Ewers gibt zunächst einen Aufriss zur Entwicklungsgeschichte des lyrischen Schaffens. Auch wenn er sich der Problematik einer Gliederung in Epochen durchaus bewusst ist, wählt er den hier gut nachvollziehbaren Weg, Zäsuren im zeitlichen Verlauf aufzuzeigen. Ein bereits 1957 erschienener Gedichtband für Erwachsene ist gestaltet als "an sich selbst gerichtete Rede" (S. 4). Kinder sind zur Teilhabe eingeladen. Eigens für Kinder verfasste Gedichte sollte es nicht geben – so ein bis heute zu bedenkendes "lyrisches Credo" von Guggenmos. Für das Frühwerk ist der Sammelband Was denkt die Maus am Donnerstag? (1967) entscheidend, der auch bereits früher erschienene Gedichte aufnimmt. Zudem begann die Kooperation mit dem Herausgeber Hans-Joachim Gelberg, der ihn unterstützte auf dem Weg zur "Befreiung" des Kindergedichts von "starren Versmaßen", "glatter Reimerei" und "stereotypen Strophenformen" und der den sparsamen Einsatz sprachlicher Mittel gutheißt (S. 6 f.).  Zum "Sprachspieler" und Nonsens-Dichter wandelte sich Guggenmos in seiner mittleren Schaffensphase. Die daneben auftauchenden sozialkritischen und politischen Gedichte finden sich auch – z. T. verbunden mit Naturlyrik – zu einer späteren Zeit bis hin zu einer im "elegischen Ton" gehaltenen Alterslyrik (S. 16). Ewers macht darauf aufmerksam, dass die Publikationspraxis leider dazu beigetragen hat, dass immer wieder Gedichte aus den frühen Phasen mit den für den späten Guggenmos charakteristischen Texten zusammen veröffentlicht wurden, so dass die Veränderungen im zeitlichen Verlauf kaum sichtbar geworden sind. Dies dürfte auch für die aktuelle Beschäftigung mit diesem Lyriker nicht unerheblich sein. Unmittelbar aus der persönlichen Begegnung mit Guggenmos heraus gibt sein inzwischen verstorbener Verleger Hans-Joachim Gelberg unter Einbeziehung zahlreicher Beispiele Einblicke in die für beide Seiten sehr fruchtbare Zusammenarbeit (S. 21-30). Er würdigt zudem den herausragenden Stellenwert der dazu erstellten Illustrationen vieler Künstlerinnen und Künstler und hebt den besonderen Humor von Guggenmos hervor.

Susan Kreller weicht mit ihrem Blick auf "Das Glück und die Tücken der Lyrik-Übersetzung" (S. 31-46) von der Diskussion des Werkes im engeren Sinne ab. Gleichwohl hat Guggenmos auch auf diesem Feld mit der Übertragung der Gedichte von Robert Louis Stevenson (A Child's Garden of Verses) ins Deutsche Mitte der 1950er Jahre einen Beitrag geleistet (S. 31). Die Auseinandersetzung mit der Problematik des Übersetzens von Lyrik macht bewusst, wie befriedigend es sein kann, ein ebenbürtiges Sprachspiel gefunden oder "Stimmungen" eingefangen zu haben. Die "Tücken" liegen insbesondere in der Formgebundenheit der Sprache auf metrisch-rhythmischer Ebene, in der unterschiedlichen „semantischen Dichte“ von nicht verwandten Sprachsystemen (S. 34) und ebenso im lautlichen Bereich. Auch die Kulturgebundenheit von Humor oder von Kinderreimen spielt hier mit hinein und wird von der Autorin an bespielhaften Übersetzungsanalysen (S. 35 ff.) anschaulich erläutert. Nicht jedes Erwachsenengedicht ist gleichzeitig auch ein Kindergedicht – das spricht Uwe-Michael Gutzschhahn in seinem Beitrag an. So sollten Bildungswissen und eine eher intellektuelle Zugriffsweise vermieden werden (S. 47). Was Kinder wie Erwachsene fasziniert – das Spiel mit Sprache –, ist sowohl im Erwachsenen- wie im Kindergedicht zu finden. Dazu wird eine Fülle an Beispielen dargelegt und analysiert. Die Frage Paul Maars, "Warum lieben Kinder Gedichte?" (S. 65-70), steuert als zusätzlichen Aspekt noch bei, dass der im Rahmen des Reims den Kindern nun ausnahmsweise erlaubte Tabubruch, ein schlimmes Wort auszusprechen, durchaus seinen Anteil daran hat.

Der zweite Teil des Bandes dokumentiert Beiträge, die anlässlich des 80. Geburtstages von Paul Maar auf einer Tagung der Volkacher Akademie gehalten wurden. Der von Hans-Heino Ewers verfasste Aufsatz gibt einen Überblick zum Werk des Autors, das – gekennzeichnet durch realistische wie fantastische Texte – nach wie vor Forschungen zur Intertextualität, zur Narration und darüber hinaus zu den inzwischen vorliegenden vielfältigen Medienadaptionen herausfordert. Bezüglich der von Maar erfundenen Geschichten kann differenziert werden zwischen solchen, die Stoffe aus "alten Zeiten" nacherzählen und neuen, die nach den althergebrachten gestaltet sind und in der Gegenwart spielen (S. 82 f.). Gekennzeichnet durch eher "flache" bzw. typenhaften Charaktere, zu deren "Welt" auch Magie und Zauberei gehören, müssen diese Erzählungen nicht notwendigerweise als Teil der fantastischen Literatur gesehen werden, sondern verweisen auf einen spezifischen traditionellen Hintergrund. Ein eigenes Feld im Schaffen Paul Maars nehmen die Sams-Geschichten ein. Auch hier ist eine Entwicklung erkennbar: Die Figuren haben ihre Wurzeln in den karnevalistischen Schwankgeschichten und entsprechend sind auch die frühen Werke angelegt. Die eher antiautoritäre Lesart oder der Bezug zu E.T.A. Hoffmanns Erzählung Das fremde Kind (1817) scheinen – so die Argumentation von Ewers – weniger überzeugend. Spätere Sams-Ausgaben (1996-2009) können dem klassischen Kinderroman zugeordnet werden und tragen z.T. Züge des Kinderkrimis. Auch auf dem Feld des modernen psychologischen Kinderromans ist Maar vertreten, wobei die verwendeten "alten" Formen mit Modifikationen weiterhin bestehen bleiben.

Dass ebenso das "Komische" im Werk Paul Maars enthalten ist, nimmt Jenny Wozilka auf (S. 97-115). Neben der leibgebundenen Form in der Gestalt des Sams sind die Sprachkomik oder die komische Verfremdung – befördert durch Perspektivenwechsel – von Bedeutung und erweisen ihr großes Potenzial. Insbesondere die lyrischen Produktionen des Sams offenbaren eine weitere Dimension: es scheint sich auf diesem Wege zu wehren gegenüber machtbesetzten gesellschaftlichen Strukturen, welche die "Integrität des Individuums" (S. 125) bedrohen – so Kai Sina in seinem Beitrag.

Die Vielseitigkeit Maars zeigt sich in der großen Fülle und Vielfalt an Hörmedien, die zu seinem Werk erschienen und häufig mit Preisen bedacht worden sind. "Strukturen der Mündlichkeit" (über rhythmische Sprache, Reime und Lieder) – so zeigt Karla Müller anschaulich anhand von Beispielen auf (S. 145-160) – scheinen vielen Werken Maars eingeschrieben zu sein. Nicht zuletzt hat der Autor an mehreren Hörfassungen seiner Werke mitgewirkt. Auch die in der für ihn typischen Grundtechnik mit "Linie" und "Strich" (S.  164 f.) gestalteten Federzeichnungen in seinen bzw. anderen Kinderromanen gehören für Paul Maar zum Schreiben dazu. Jutta Hanners differenzierte Analyse zum Text-Bild-Verhältnis in Maars Kinder- und Jugendbüchern kann zudem aufzeigen, dass die Illustrationen das Erzählen in ganz unterschiedlicher Weise unterstützen.

Den didaktischen Dimensionen zum Werk widmen sich zwei Beiträge. Andreas Wicke nimmt sich die gemeinsam mit Christian Schidlowsky entwickelten Faust-Adaption vor, für die insbesondere die detaillierten und kreativen Regieanweisungen Maars hervorzuheben sind (S. 129-143). Die Auseinandersetzung damit kann für die schulische Bearbeitung gewinnbringend sein, und es sind umfangreiche Anregungen und Materialien für den Deutschunterricht der Sekundarstufe I erarbeitet worden. Kaspar H. Spinner zeigt auf, dass die "aufmüpfige" Haltung des Sams nicht daran gehindert hat, dass die Bücher zu Klassikern für den Unterricht geworden sind – offensichtlich finden sich die Kinder in dieser Figur wieder. Didaktische Überlegungen greifen das Anliegen auf, die Kreativität auf vielfältige Weise zu fördern. Maar hat als Mitautor von Fibeln eine Fülle von Anregungen zum spielerischen und experimentierenden Umgang mit Sprache gegeben. Zudem liegt ein besonderes Augenmerk Spinners auf der hervorgehobenen Rolle des Essens im Werk Maars – und hier insbesondere in den Büchern zum Sams, das als ein geradezu „fresswütiges Wesen“ (S. 195) beschrieben wird. Gesellschaftliche Normen werden in Gestalt von (Ess-)Regeln überschritten, was wiederum eine antiautoritäre Grundintention in den Sams-Geschichten unterstreiche. Kurze Einblicke zu einer Ausstellung von Kinderbriefen an Paul Maar (Monika Plath/Jana Mikota) und seine gute Zusammenarbeit mit dem Oetinger Verlag (Silke Weitendorf) spiegeln nochmals deutlich die dem Autor entgegengebrachte Wertschätzung.

Kritik

Beiträge, die auf einer Tagung anlässlich der Preisverleihung an einen Autor gehalten werden, zielen in der Regel auf die Würdigung von Person und Werk und dienen – so auch hier – weniger der kritischen Auseinandersetzung. Gleichwohl werden mit den Aufsätzen in diesem Band bedeutsame Gesichtspunkte zur weiterführenden Einordung und Diskussion des jeweils im Mittelpunkt stehenden Autors geleistet.

Fazit

Inzwischen kann das Sams seinen 50. Geburtstag feiern, was zur Folge hat, dass es weiterhin deutlich in der literaturwissenschaftlichen und didaktischen Diskussion präsent bleibt. Darüber hinaus behalten die hier versammelten Beiträge, die ein großes Spektrum im Schaffen Paul Maars abbilden und differenziert zu interpretieren suchen, ihren anregenden Gehalt. Letzteres gilt ebenso für die Diskussion des (kinder-)lyrischen Werks von Josef Guggenmos. Die in dem vorliegenden Band versammelten Beiträge zeigen, dass seine Lyrik auch aktuell gefragt bleibt und zu weitergehenden Reflexionen einlädt. Nicht zuletzt regen die zahlreichen Beispiele aus dem Schaffen beider Autoren dazu an, einen intensiveren Blick auf ihre Originalwerke in Gänze zu tun.

Titel: Vom Sprachmeertauchen und Wunschpunkterfinden. Beiträge zu kinderliterarischen Erzählwelten von Josef Guggenmos und Paul Maar
Herausgeber:
  • Name: Gabriele von Glasenapp
  • Name: Claudia Maria Pecher
  • Name: Martin Anker
Erscheinungsort: Baltmannsweiler
Erscheinungsjahr: 2021
Verlag: Schneider Verlag Hohengehren
ISBN-13: 978-3-8340-2120-5
Seitenzahl: 282
Preis: 24,00€
Auf der Titelseite ist ein kopfüber tauchendes Kind abgebildet, das in Buchstaben schwimmt. Darüber sind die Daten der Publikation angegeben: Titel: Vom Sprachmeertauchen und Wunschpunkteerfinden. Beiträge zu kinderliterarischen Erzählwelten von Josef Guggenmos und Paul Maar. Herausgegeben von Gabriele von Glasenapp, Claudia Maria Pecher und Martin Anker. Ort: Baltmannsweiler. Verlag: Schneider Hohengehren. Jahr: 2021