Inhalt

Minusch (Carice Van Houten) ist eine ganz gewöhnliche Katze, bis sie von einem mysteriösen Fass trinkt und über Nacht zur Frau wird. Plötzlich Mensch, doch im Wesen immer noch eine Katze, trifft sie auf den Nachwuchsjournalisten Tibbe (Theo Maassen), der kurz vor seiner Entlassung steht: Bedingt durch seine Schüchternheit verfasste dieser bislang hauptsächlich Artikel über Katzen (und damit für die meisten Leser*innen kein sonderlich spannendes Thema) und muss nun bis zum nächsten Morgen eine „überzeugende“ Schlagzeile liefern, um seinen Job behalten zu können. Als er daher am Abend hochkonzentriert, doch nicht sonderlich inspiriert, mitten in seinem Kreationsprozess die klitschnasse Minusch mit Sardinen in der Hand unter seinem Küchentisch entdeckt, ist er zuerst nicht sonderlich erfreut. Doch die Begegnung stellt sich als deutlich positiver und inspirierender heraus: Gegen Schlafplatz und Fisch liefert Minusch Tibbe wertvolle Information aus erster Katzen-Hand; denn ihre Fähigkeit, mit Katzen zu sprechen, hat die junge Frau nicht verloren.

Minusch 1Abb. 1: Tibbe, Minusch und Bibi feiern Tibbes ersten großen Erfolg. Screenshot aus Die geheimnisvolle Minusch (2001); Verleih: Warner Bros.

Tibbes Chefin ist entzückt von der Wendung seiner Arbeit und eine Schlagzeile folgt der nächsten. Das Glück ist allerdings nur von kurzer Dauer: Eines Tages kommen Tibbe und Minusch den dunklen Machenschaften des Chemiekonzerninhabers Herrn Ellemeet (Pierre Bokma) auf die Schliche und Tibbe bekommt kalte Füße: Einen skandalösen Artikel über den angesehenen Bürger und Wohltäter der Stadt zu schreiben, ließe ihn in der Kleinstadt ziemlich schlecht dastehen. Doch mit Minusch und seiner kleinen Freundin Bibi (Sarah Bannier) an der Hand wagt Tibbe die Veröffentlichung. Der Artikel kostet dem Journalisten seinen Job, doch das Dreiergespann lässt sich nicht unterkriegen: Unterstützt durch Minuschs Katzenfreund*innen folgt die Aufdeckung eines Umweltskandals, der es faustdick hinter den Ohren hat.

Kritik

Mit Die geheimnisvolle Minusch (2001) adaptiert der belgische Filmemacher und Illustrator Vincent Bal den 1972 erschienenen Roman der erfolgreichen niederländischen Kinderbuchautorin Annie M.G. Schmidt. Hauptsächlich bekannt für seine Schattenbilder aus alltäglichen Gegenständen sowie Filmproduktionen wie The Bloody Olive (1997), The Zigzag Kid (2012) und Belgian Rhapsody (2014), stellt die Romanverfilmung Bals erste große Filmproduktion dar.

Die geheimnisvolle Minusch lebt von magischem Realismus: Ausgehend von einer ansonsten sehr alltagsnahen und realistischen Szenerie ohne viel Extravaganz begegnen dem Publikum im Laufe der Erzählung immer wieder magische Elemente. Diese reichen von geheimnisvollen Flüssigkeiten, die die Macht haben, eine Katze in einen Menschen zu verwandeln, über metamorphosierte Menschen, die halb Mensch, halb Katze, noch immer mit Katzen sprechen können, bis hin zu seltenen Vögeln, die bei Verzehr fähig sind, einen Verwandlungszauber rückgängig zu machen. Trotz Magie und leichter Märchenatmosphäre bleibt Bal dem Genre des Realfilms jedoch gleichzeitig treu und verzichtet auf eine Verwebung mit der Gattung des Animationsfilms: Statt auf animierte Katzen zurückzugreifen, setzt der Regisseur liebevoll echte Vierbeiner in Szene, was dem Charme des Filmes eindeutig zugutekommt. Lediglich in ihren Mundbewegungen wurden die pelzigen Filmkolleg*innen dezent via Computer nachbearbeitet, um sie im Anschluss mit menschlichen Stimmen zu synchronisieren.

Die Magie der Filmhandlung reicht jedoch nicht so weit, dass die Katzen zu übernatürlichen Wesen werden oder die Grenzen der Logik durchbrechen: Zwar erscheinen den Zuschauenden in der Tat sprechende Katzen mit teils vermenschlichten Charaktereigenschaften, doch sprechen können auch diese weiterhin nur mit ihrer ehemaligen Katzengefährtin Minusch. Lediglich das Publikum kann dank der menschlichen Synchronstimmen den kätzischen Unterhaltungen folgen, während die Filmfiguren weiterhin nur Miauen vernehmen.

Auch ein feiner und erfrischender Humor sorgt für ausreichend Unterhaltung während des Filmverlaufs. Zu verdanken ist dies unter anderem der überzeugenden Besetzung und dem wundervollen Schauspiel von Carice Van Houten und Theo Maassen, die nuanciert Wort und Mimik ausschmücken und -leben. Doch auch die karikaturhaft charakterisierten Katzen tragen ihr Eigenes zur Humoristik des Filmes bei: Ob dabei der schüchterne Kater, der musikalisch absolut untalentierte, aber lauthals mitmiauende, der Katzenheld oder Frauenaufreißer am meisten das Publikumsherz gewinnt, bleibt jedem und jeder selbst überlassen.

Zusätzlich zur Magie und dem Witz überzeugt der Film auch inhaltlich: Die Filmfigur Minusch symbolisiert, als metamorphosierte Katze, Empfindungen des Andersseins und Nicht-dazu-Gehörens und wird zu einer überzeugenden Identifikationsfigur für die jungen Zuschauenden. Diese können als Teil von Minuschs Selbstfindungsprozess miterleben, wie sich die junge Frau an ihre neue Rolle, ihre neue Identität, gewöhnt und sich verändert, ohne sich dabei selbst zu verlieren: Zu Beginn des Filmes noch höchst unglücklich und allein mit ihrem plötzlichen Menschendasein, beschließt sie zum Ende des Filmes bewusst, ihre Menschenseite zu behalten, während sie ihre Katzenseite weiterhin als wichtigen Teil ihrer Persönlichkeit auslebt. Zuvor hatte die junge Frau noch versucht (bzw. sich gezwungen gefühlt), ihre Katzenidentität zu unterdrücken. Mit – oder gerade dank – all ihrer Eigenheiten und Besonderheiten wird Minusch Teil der Gesellschaft und für ihr Wesen aufrichtig geliebt. Dem jungen (und auch älteren) Publikum wird an dieser Stelle vermittelt: Veränderung gehört zum Leben dazu und Einzigartigkeit – Anderssein – und Inklusion schließen sich keineswegs aus.

Doch neben der Wichtigkeit des internen Selbstakzeptanzprozesses wird auch ein weiterer Aspekt vermittelt: Auch das Umfeld und die Gesellschaft müssen ihre Akzeptanzbereitschaft und Offenheit schulen und erweitern, um Inklusion zu ermöglichen und dem Individuum den Raum zu geben, sich frei und in all seiner Besonderheit entfalten zu können. Symbolisiert wird dies durch die Filmfigur Tibbe, der erst vollständig bereit ist, Minusch mit all ihren Katzeneigenheiten zu akzeptieren, als er befürchtet, sie zu verlieren.

Minusch 2Abb. 2: Ein kleines Nasenküsschen unter Freundinnen. Screenshot aus Die geheimnisvolle Minusch (2001); Verleih: Warner Bros.

„Mut“ (und auch an dieser Stelle das Motiv der Veränderung und Weiterentwicklung) wird in Die geheimnisvolle Minusch direkt von zwei Filmfiguren verkörpert: Auf der einen Seite von Minusch, die sich in ihrer (katzenbedingten) Angst zu Beginn des Films kaum auf die Straße traut und auf Bäume flüchtet, um sich vor den gefürchteten Hunden der Nachbarschaft zu retten, als auch von Tibbe, der als schüchterner und eher zurückgezogen lebender Journalismus in die Erzählung eingeführt wird. Beide Filmfiguren fungieren in diesem Aspekt als Spiegelfiguren. Im Sinne des berührenden Satzes „Kommen Sie, lernen wir, mutig zu sein!“ (Bos 2001, 01:10:42) überwinden Minusch und Tibbe im Zuge der Erzählung ihre Ängste und Blockaden, während durch die vereinende Aussage ganz nebenbei ein Plädoyer für Freundschaft gesetzt wird: Denn gemeinsam lassen sich Ziele meist doch am besten erreichen und Ängste einfacher überwinden. Minusch, die junge Katzenfrau, stellt sich – im wahrsten Sinne des Wortes und mit auffälliger metaphorischer Bedeutung – letztlich entschieden ihrem erlebten Feind „Hund“ in den Weg, um ihren eigenen Weg zu beschreiten, während Tibbe privat und beruflich über seinen eigenen Schatten springt und als selbstbewussterer Mann mit eigener Stimme aus dem Film herausgeht.

Mit Minusch und Tibbe kreieren Bal und Schmidt damit zwei dynamische (Film-)Figuren. Überzeugend ist an dieser Stelle, dass die (Film-)Figuren sich charakterlich nicht um 180 Grad wenden: Sowohl Minusch als auch Tibbe bleiben ihren grundlegenden Wesen treu, erweitern lediglich ihrer Persönlichkeitsstrukturen um weitere Facetten und entwickeln neue Stärken.

Zum Ende des Films und eingeleitet durch eine authentische Spannungskurve decken Minusch, Tibbe und Bibi Ellemeets Umweltskandal auf und entblößen seine dubiosen Geldgeschäfte. Dem jungen Publikum wird dadurch in vergleichsweise unaufgesetzter Form das konstant hochaktuelle Thema des Umweltschutzes bewusst gemacht. Ellemeet wird dafür als symbolische Filmfigur karikiert und im buchstäblichen Sinne des Wortes „durch den Dreck gezogen“. In filmischer Aufsicht wird der Industrielle bei Entblößung seiner Missetaten in seine eigens gegrabene Erdgrube geworfen, während ihm beim Herunterfallen die verschmutzen Geldscheine um die Ohren fliegen (Bos 2001, 01:16:00). Auch wird sein mangelndes Umweltbewusstsein ironisch gezeichnet: Eine Filmszene zeigt Ellemeet mit Ehefrau als gutbürgerliches Ehepaar am deftig gedeckten Esstisch sitzend, während sich letztere mit dem Satz „Tiere haben doch auch Gefühle“ an ihn wendet (Bos 2001, 01:07:32). Dass im selben Zuge beide beherzt ihr Steak verspeisen, kann für das ein oder andere widersprüchliche Gefühl sorgen. Um die Figur des „bösen Antagonisten“ zu komplettieren, lebt Ellemeet seine Tier- und Kinderfeindlichkeit im Film auch aktiv aus: Fußtritte und Schüsse gegenüber den Katzen und eine Ohrfeige gegenüber der kleinen Bibi – in seinem Wahn schreckt Ellemeet vor kaum einer Hürde zurück.

Minusch 3Abb. 3: Ellemeet ist in Rage, als er die Katzen und Bibi in seinem Garten entdeckt. Screenshot aus Die geheimnisvolle Minusch (2001); Verleih: Warner Bros.

Für Die geheimnisvolle Minusch gewinnt Bal mehrere Preise, darunter den International Children’s Jury Award (2002) sowie eine Nominierung für den Starboy Award des Oulu International Children’s Film Festivals (2002). Dank der erfolgreichen Verfilmung macht sich Schmidt – auch bekannt als „niederländische Astrid Lindgren“ – international einen Namen. Es folgen weitere Romanverfilmungen der Kinderbuchautorin (vgl. u.a. Ein Platz für Pluk (2004) und Der wunderbare Wiplala (2014)). Bal selbst lässt sein Publikum gute zehn Jahre auf seine nächste Kinoproduktion warten, erzielt mit einer erneuten Romanadaptation und dem Abenteuerfilm The Zigzag Kid (2012) dafür aber seinen nächsten großen Erfolg. Die Jahre bleiben jedoch nicht ungenutzt: Der Illustrator widmet sich in Co-Produktion der Arbeit an der interaktiven Kinder-Animationsserie KIKA & BOB (2007-2014) und stellt ein erfolgreiches Langzeitprojekt auf die Beine.

Fazit

Die geheimnisvolle Minusch ist ein wundervoller Märchenfilm, der voller Witz und Charme überzeugt. Liebevoll inszeniert, wird er zum Plädoyer für Freundschaft, Mut und Individualismus und sorgt, dank seiner Leichtigkeit und Spannung, für ausreichend Unterhaltung bei seinem jungen Publikum. Für Kinder ab 6 Jahre zu empfehlen, wird er zum absoluten Hingucker für jeden Katzenliebhaber und punktet durch seine ganz eigene Mischung aus Realismus und Magie.

Titel: Die geheimnisvolle Minusch
Regie:
  • Name: Vincent Bal
Originalsprache: Niederländisch
Drehbuch:
  • Name: Vincent Bal
  • Name: Burny Bos
  • Name: Tamara Bos
Erscheinungsjahr: 2001
Dauer (Minuten): 86
Altersempfehlung Redaktion: 6 Jahre
FSK: 0 Jahre
Format: Kino
Die geheimnisvolle Minusch (Vincent Bal, 2001)