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Wie generiert man mit einer seit vier Generationen populären Plastikpuppen-Figur, die einen ausufernden Medien- und Produktverbund hervorgebracht hat, eine fast zweistündige Filmhandlung? Gerwig integriert diesen Medien- und Produktverbund kurzerhand in die Filmhandlung.

Auf diese Weise funktioniert bereits der Prolog des Films: In einer kurzen Rahmengeschichte wird Barbie per Voice-Over (Helen Mirren) als historische Gegenposition zu Baby-Puppen präsentiert: Als Parodie von (und Verbeugung vor) Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey erscheint Barbie filmisch überhöht als Erlösung von einem veralteten Gesellschaftsbild, in dem Frauen nur für Kinder und Haushalt zuständig sind.

Anschließend beginnt die Haupthandlung, die in Barbieland angesiedelt ist, in der klar wiedererkennbaren Spielzeug-Welt der Barbie-Produkte. Die explizit „stereotypische Barbie“ genannte Hauptfigur (Margot Robbie) wacht in ihrem Traumhaus auf – einem an Reality-Shows erinnernden Puppenhaus ohne Wände – und erlebt mit ihren Barbie-Freundinnen einen perfekten, wie immer „schönsten“ Tag. Bis auf die von Mirren sarkastisch kommentierten Ausreißer-Figuren wie etwa die schwangere Midge tragen alle denselben Namen: „Barbie“. Barbies üben die verschiedensten Berufe bis hin zu dem der Präsidentin Amerikas aus, während die Aufgabe der Ken-Männer tagsüber in „Beach“ besteht, am Abend sind sie Background-Tänzer für die Showeinlagen ihrer Barbie-Freundinnen. Bis auf kleine Eifersüchteleien unter den Kens (u.a. Ryan Gosling und Simu Liu) wird eine heile Welt dargestellt.

Diese Ordnung wird jedoch am nächsten Tag gestört: Barbie hat Todesgedanken, ihre Fersen berühren plötzlich den Boden, sie fällt hin und entdeckt Cellulite an ihren bislang so makellosen Oberschenkeln. Die einst von ihrer kindlichen Besitzerin verunstaltete und nun gemiedene „komische Barbie“ (Kate McKinnon) weiß, was zu tun ist: Barbie muss in die reale Welt reisen. Widerstrebend macht diese sich auf den Weg.

Anders als in den anderen bisherigen Filmvarianten des Medienverbunds wird die Perfektion der Barbie-Welt nun gebrochen und mit der „echten Welt“ verknüpft. Barbie und Ken fahren auf verschiedenen Barbie-Spielzeugen vom Cabrio bis zu Roller-Blades nach Los Angeles (vgl. Abb. 1). Hier entdeckt Ken das Gefühl von Wertschätzung in einer männerdominierten Welt, während Barbie sich einer frauenfeindlichen Umgebung ausgesetzt sieht, in der sie ständig beschämt, objektifiziert, sexualisiert wird. In drei Frauen unterschiedlicher Generationen findet sie Verbündete: Barbie-Erfinderin Ruth Handler (Rhea Perlman), die Mattel-Angestellte Gloria (America Ferrera) und deren woke Teenie-Tochter Sasha (Ariana Greenblatt).

Abb. 1: Barbie und Ken fahren nach L.A. (Verleih: Warner Bros.)

Zusammen mit Gloria und Sasha kehrt Barbie zurück in ihre eigene Welt. Hier hat sich seit Kens Ausflug in die reale Welt jedoch alles verändert. Die Frauen müssen die mächtig gewordenen Kens und auch den Mattel-Vorstand überlisten, bis die alte Ordnung im Barbie-Land wieder hergestellt ist. Am Ende des Films wird der Handlungsstrang mit Barbie-Erfinderin Ruth Handler wieder aufgenommen, die für Barbie kein Ende vorgesehen haben will.

Kritik

Das Grundrezept ist erst einmal einfach: Greta Gerwig bedient sich aus den Bausteinen der Barbie-Storytelling-Welt, die aus der weltweit bekannten „stereotypischen“ Barbie, Ken, dem rosa Traumhaus und rosa Cabrio usw. besteht, ergänzt das Ensemble mit Diversitätsansprüchen genügenden, sehr viel weniger oft produzierten Figuren wie der Rollstuhl-Barbie oder der „Black Barbie“, aber auch ganz abgesetzten Puppen wie der Babybauch-Midge und frei erfundenen Varianten wie der „Proust-Barbie“. Die Handlung folgt getreulich dem Muster der Heldenreise, einem (nicht nur) in Hollywood beliebten Drehbuch-Modell. Die Nähe von Barbie insbesondere zu The Wizard of Oz (1939) betrifft dabei nicht nur den Aufbau der Handlung inklusive der Coming-of-Age-Erzählstruktur, Greta Gerwig ließ sich von diesem Film auch zu der authentischen Künstlichkeit des Barbieland-Settings inspirieren. Daneben finden sich in den Tanz-Szenen, der Farbgestaltung und der Beziehung zwischen Barbie und Ken Referenzen zu Musical-Filmen wie Singin’ in the Rain (1952) oder Les Parapluies de Cherbourg (1964).

Das Handlungskonstrukt, dass die naive Barbie sich auf einmal mit der so schmutzigen, überfordernden „echten“ Welt konfrontiert sieht, ähnelt Filmen wie der Truman Show (1998) oder der Disney-Produktion Verwünscht (2007).

Was Gerwigs Film auszeichnet, ist das gekonnte Spiel mit den verschiedenen Erzählebenen, die von unzähligen Film- und Popkulturzitaten u.a. auf Pinocchio, 2001: A Space Odyssey (1968) (vgl. Abb. 2), The Matrix (1999) über ikonische Bilder wie Marilyn Monroe im Kleid bis hin zur Schöpfungsgeschichte reichen. Die verschiedenen Referenzen werden sowohl in die Erzählwelt eingebaut („Macht ihr jetzt auf Shining“?) als auch in die Ästhetik des Films selbst, zum Teil unironisch (wie die Monroe-Referenz) oder als Parodie (wie die Schöpfungsgeschichte mit getauschten Rollen für Mann und Frau) – in jedem Fall sorgen sie im Barbie-Kontext für Komik. Nicht zuletzt kann in der stolpernden Barbie auch eine Selbst-Referenz auf Greta Gerwigs eigene frühere (dezidiert als ungeschickt inszenierte) Film-Figuren in Frances Ha (2012) oder Lady Bird (2017) gesehen werden.

Abb. 2: Der Barbie-Monolith im Prolog von Greta Gerwigs "Barbie". (Verleih: Warner Bros.)Abb. 2: Der Barbie-Monolith im Prolog von Greta Gerwigs "Barbie". (Verleih: Warner Bros.)

Die Handlung wird durch eine weibliche Erzählerfigur gerahmt, die die Geschichte als Märchen eröffnet: „Seit Anbeginn der Zeit gibt es Puppen…“. Wenn sie in der Mitte des Films die Handlung unterbricht und Margot Robbie als Schauspielerin kommentiert, sorgt diese Metalepse zuverlässig für Lacher im Publikum. Indem die Erzählerin die filmische Illusion kurz und abrupt unterbricht und sich über das perfekte Erscheinungsbild der Schauspielerin „beschwert“, spielt der Film gleichzeitig mit der Überraschung des Publikums als auch mit der bekannten Kritik am unrealistischen Barbie-Körper. Bereits zu Beginn des Films deutet die Erzählerin die sich wie ein roter Faden durch den Film ziehende Mutter-Kind-Thematik an: In der Anfangsszene, die Babypuppen als nicht mehr zeitgemäßes und einziges Spielzeug für Mädchen präsentiert, das zur Vorbereitung auf die alternativlose Mutterrolle dient, wird das Publikum per Voice-Over selbst angesprochen und eingebunden: „Frag mal deine Mutter!“ Besonders in der Entfremdung und Wiederannäherung zwischen Gloria und ihrer Tochter Sasha wird das Thema wiederaufgenommen. Die Erzählperspektive bleibt hauptsächlich bei Barbie und Gloria, deren Erinnerungen per Mindscreen mit dem Publikum geteilt werden. Neben dem Monolog von Gloria über „die Dissonanz einer Frau im Patriarchat“ (Zitat Barbie) sind ihre Kindheitserinnerungen einige der wenigen unironischen Szenen, die folglich sofort von gut geschriebenen Pointen „entlastet“ und abgelöst werden.

Mit Ironie und Komik versteht es Gerwig zudem, sowohl die sehr präsente feministische Kritik an einer Welt, in der Randgruppen und besonders Frauen benachteiligt werden, an Social-Media-Konsum in Form einer Depressions-Barbie oder auch an der Verantwortung des Mattel-Vorstands auf eine Weise umzusetzen, in der die Kritik niemandem wehtut und sogar unterhaltsam ist. Die Führungsetage im „Mattel-Mutterschiff“ wird einerseits als rein männlich, wenig kompetent und tollpatschig bis lächerlich durch den Kakao gezogen. Gleichzeitig werden Barbie als Marke und Mattel als Konzern durch den Film keineswegs abgewertet, ganz im Gegenteil – unter anderem durch die Betonung von Ruth Handler als Mitgründerin und ganz buchstäblichem Geist des Hauses. Die absurde Persiflage eines männerdominierten Konzerns trifft in seiner postmodernen Ironie den Zeitgeist – nicht aber den Konzern.

Mehrfach selbstironisch wird Barbie als Avantgardistin der Frauenrechtsbewegung dargestellt und soll das Barbie-Image somit nun auch für bisherige Kritiker*innen korrigieren – ein Effekt, der nur im Sinne der Produzenten sein kann und angesichts der Summen, die für das Marketing ausgegeben wurden, sicher kein Zufall ist. Stärker als je zuvor ist Barbie als Figur, Marke und Produkt seit mehr als einem Jahr vor Release des Films durch Firmenkooperationen, eigenen Social-Media-Kanälen, gezielt veröffentlichten Informationen wie der Besetzung oder einzelnen Teasern und Memes sowohl digital als auch analog allgegenwärtig. Eine wirkungsvolle Strategie, der sich sogar die gut gelaunten, solidarisch rosa gekleideten Besucher*innengruppen selbst anschließen, die sichtbar an der Barbie-Welt teilhaben (wollen).

Fazit

Der Erfolg an den Kinokassen scheint den Slogan des Films zu bestätigen – Barbie ist ein Film für alle, die Barbie lieben und die, die Barbie hassen. Dies führt zum Kern des Filmkonzepts: Witz und Humor werden als Stilmittel genutzt, um feministische Ideen und Argumente einem breiten Publikum gleichsam unterzujubeln, zugleich diente das selbstverliehene Label des ‚feministischen Films‘ als Verkaufsmotor für die Marketing-Kampagne. Dementsprechend funktioniert der als großes Barbie-Fest, das je nach Perspektive ein feministisches Filmmanifest oder selbstironischer Marketing-Juggernaut ist. Mit sehr wenigen Ausnahmen erreicht der Film damit ein globales Publikum.

Die verschachtelten Erzählebenen bieten Unterhaltung für verschiedene Altersgruppen, empfehlenswert ab circa 12 Jahren (FSK 6). Gewalt-Szenen wie der Krieg der Kens werden durch Tanz-Choreografien und das Fehlen von Waffen im Barbie-Land gemildert, sexuelle Anspielungen etwa auf die Genitalien der Puppen sind rar und können von den verschiedenen Zielgruppen ganz verschieden gelesen und verstanden werden, wie so viele weitere Interpretationsangebote und Referenzen des Films. In diesen komplexen und zum Teil immer wieder neu ironisch gebrochenen Bedeutungsebenen liegt seine Stärke, die über den ihm inhärenten Marketing-Aspekt weit hinausgeht.

Titel: Barbie (Greta Gerwig, 2023)
Regie:
  • Name: Greta Gerwig
Originalsprache: Englisch
Drehbuch:
  • Name: Greta Gerwig
  • Name: Noah Baumbach
Erscheinungsjahr: 2023
Dauer (Minuten): 114
Altersempfehlung Redaktion: 12 Jahre
FSK: 6 Jahre
Format: Kino
Barbie (Greta Gerwig, 2023)