Inhalt

Wer hier aufwächst, ist mit einer gesellschaftlichen Wirklichkeit konfrontiert, die der jugendlichen Sehnsucht nach Ausbruch und Grenzerfahrung wenig Möglichkeiten bietet. Es gibt das Kino, das Diner, die Pool-Halle. Es sind Orte der Kommunikation und der kleinen Fluchten für die drei Jugendlichen Sonny Crawford (Timothy Bottoms), Duane Jackson (Jeff Bridges) und Jacy Farrow (Cybill Sheperd), die sich gerade im letzten Jahr der Highschool befinden. Sonny und Duane spielen für die örtliche Football-Mannschaft, die nicht besonders erfolgreich ist, die aber für die Menschen in Anarene ein wenig Abwechslung in eine Stadt bringt, in der sonst nicht viel passiert. Sam „der Löwe“ (Ben Johnson), Ex-Cowboy und Besitzer der drei Treffpunkte, ist für sie eine Art Vaterfigur. Wegen Jacy geraten Sonny und Duane in einen heftigen Streit, versöhnen sich aber wieder. Sonny beginnt eine heimliche Affäre mit der vernachlässigten Frau seines Football-Trainers, in deren Ehebett er seine ersten sexuellen Erfahrungen sammelt. Er geht mit Sam angeln, der am Ufer in Erinnerungen seiner verlorenen Liebe nachtrauert. Einige Zeit später beschließen Duane und Sonny kurzzeitig der Langeweile von Anarene zu entkommen und mit dem Pickup einen Trip nach Mexiko zu unternehmen. Als sie wiederkehren, müssen sie feststellen, dass Sam „der Löwe“ gestorben ist.

Kritik

Gegen die Trostlosigkeit der amerikanischen Provinz setzte die amerikanische Populärkultur seit jeher den Westernmythos, der mit dem Ende der Landnahme ins Fiktionale gewendet wurde: Im amerikanischen Grenzland, wo es schon eine soziale Ordnung, aber noch kein Gesetz gibt, findet der Held des Westerns für gewöhnlich in der Durchsetzung des Rechts eine Aufgabe und das Publikum eine Projektionsfläche für seine Träume von Heldentum, Abenteuer und Männlichkeit. Das Westerngenre hat sich an diesem Mythos in drei Stadien abgearbeitet. Im klassischen Westernfilm vertritt der Held Werte, die er mit Gewalt durchsetzt. Im Spätwestern zählen diese Werte nicht mehr. In den mythenkritischen Dekonstruktionen des Genres ab den Siebzigern – also dem dritten Stadium – zeigen Westernfilme, dass es diese Werte in der Realgeschichte nie gegeben hat. Aus der Perspektive dieser Klassifizierung gesehen ist „The Last Picture Show“ in seiner atmosphärischen Diktion ein Spätwestern. Die Werte, die der ehemalige Cowboy Sam vertritt, gelten noch etwas unter den Jugendlichen. Mit seinem Tod stirbt nicht nur eine Vaterfigur, sondern auch diese Tradition. Was bleibt ist eine Erwachsenenwelt, die von Lebenslügen, Doppelmoral und Bigotterie geprägt ist.

Mit dem kritischen Bewusstsein des New-Hollywood-Kino seziert Bogdanovich die amerikanische Provinz der 1950er-Jahre und markiert eine Bruchstelle in der Entwicklung der filmischen Mythenproduktion und -rezeption. Der filmische Westernmythos funktioniert nicht mehr. Er verliert seine identitätsstiftende Bedeutung. Aber nicht aus ästhetischen oder ideologischen, sondern aus ökonomischen Gründen. Der Tod von Sam ist nur der Anlass für die Schließung des Kinos. Die eigentliche Ursache ist der wirtschaftliche Niedergang der Stadt. Das Fernsehen als neues Medium ist kein Ersatz, denn es ist kein kultureller Ort des Austausches.

In ihrer letzten Kinovorstellung schauen Duane und Sonny den Film „Red River“, Hawks Western aus dem Jahr 1948. Bogdanovich wählte eine großartige Szene des Klassikers aus, um sie kontrastierend gegen die Statik des Lebens in Anarene zu setzen: Der Rancher Tom Dunson (John Wayne) gibt seinem Ziehsohn Matt (Montgomery Clift) den Befehl zum Aufbruch des Viehtrecks nach Abilene. Unter Pfeifen und Johlen der Cowboys und untermalt von der Filmmusik Dimitri Tiomkins setzt sich die riesige Rinderherde in Bewegung. Diese ikonische Gestaltung eines Aufbruchs zu etwas Neuem steht in Kontrast zu der Verloren- und Verlegenheit von Sonny und Duane, als sie das Kino verlassen, das die letzte Vorstellung gegeben hat und nun für immer schließen wird. Die jungen Männer spüren, dass ihnen etwas gezeigt wurde, was ihnen im realen Leben versagt bleibt und nicht einmal mehr in der Fiktion erlebt werden kann.

 „The Last Picture Show“ ist ein Film über amerikanische Jugendliche. Er ist kein Film für Jugendliche. Dies liegt auch, aber nicht in erster Linie an seiner Form. Die Plot-Struktur besteht in einem Nebeneinander von Geschichten statt einer isolierten Haupthandlung, die Spannungsdramaturgie verzichtet auf Plot Points und einen affektgeladenen Höhepunkt, das Pacing ist rhythmisch und das Timing der Montage langsam. Die Schwarz-Weiß-Fotografie wirkt karg. Dies widerspricht diametral der Clip-Ästhetik der heutigen Digitalkultur und damit den Sehgewohnheiten der meisten Jugendlichen.

Aber mehr noch als durch die formalen Eigenschaften werden Jugendliche durch die desillusionierende Botschaft des Films abgeschreckt. Die Öde des Hier und Jetzt wird in „The Last Picture Show“ weder durch eine als selbstwirksam wahrgenommene Erfahrung der jugendlichen Hauptfiguren noch durch eine Perspektive auf Veränderung durchbrochen. Keine der Figuren ist fähig, die kommenden gesellschaftlichen Umbrüche zu erkennen und für sich eine individuelle Orientierung zu entwickeln, die in die Zukunft weist. Die Tradition, die sich aus dem Mythos speist, hilft ihnen nicht, aber etwas Neues ist auch nicht in Sicht. Die zeitliche Orientierung von Jugendlichen ist jedoch in die Zukunft gerichtet, weil das Leben vor ihnen liegt.

Als der 32-jährige Bogdanovich 1971 mit „The Last Picture Show“ zum Star des New Hollywood wurde, galt er den Medien als cineastisches Wunderkind. Die Paradoxie dieses Urteils besteht in der Tatsache, dass „The Last Picture Show“ ein nostalgischer Film ist, der zwar nicht die gesellschaftlichen Realitäten der Fünfzigerjahre, aber deren Filmkunst verklärt. Und Nostalgie ist eigentlich eine Praxis von älteren Menschen. Bogdanovic konnte als sehr junger Regisseur nostalgische Filme machen, weil er als Cineast, Kurator und Filmkritiker ein obsessiver Kinogänger mit einer unvergleichlich umfangreichen Filmlektüre war. Diese Voraussetzungen bringen Jugendliche für gewöhnlich nicht mit. Insofern erschließt sich die Intertextualität des Films für Jugendliche nicht ohne Weiteres. Kinozuschauer*innen jedoch, die auf eine äußere Dramatik verzichten und sich auf das Innenleben der Figuren einlassen können, werden in „The Last Picture Show“ ein Meisterwerk erkennen, dem die Zeitläufe nichts anhaben konnten.

Fazit

„The Last Picture Show“ bildet durch seine Form einen Gegensatz zur aktuellen Populärkultur, die eine zwanghafte Tendenz zum Grellen und Spaßigen oder - popintellektuell aufgewertet – zum Ironischen hat. Insgesamt ist dieser Film langsam und ja, auch anstrengend. Aber berührt tiefgehend die Zuschauer*innen, die sich auf ihn einlassen.

 

Anmerkung: Die Rezension ist im Seminar "Einführung in die Kinder- und Jugendfilmkritik. Fokus: Klassiker des Jugendfilms" (WiSe 2023/2024, Institut für deutsche Sprache und Literatur II, Arbeitsstelle für Kinder- und Jugendmedienforschung (ALEKI), Universität zu Köln, Dozierender: Dr. Frank Münschke) entstanden. Die Rezension wurde auch auf der Seite der Film-Les(e)bar der ALEKI veröffentlicht.

Titel: The Last Picture Show
Regie:
  • Name: Peter Bogdanovich
Originalsprache: Englisch
Drehbuch:
  • Name: Peter Bogdanovich
  • Name: Larry McMurtry
Erscheinungsjahr: 1971
Dauer (Minuten): 118
Altersempfehlung Redaktion: 12 Jahre
FSK: 12 Jahre
Format: Kino
The Last Picture Show (Peter Bogdanovich, 1971)