Inhalt

Becky zieht mit ihrem Vater, dem Professor Ignaz Librum, und ihrem geliebten Streifenhörnchen Lotti in ein geheimnisvolles Schloss. Das aufgeweckte Mädchen freut sich ungemein auf dieses Abenteuer und nimmt im neuen Heim sofort Erkundungsgänge auf, bei denen sie schnell merkt, dass das Schloss Rosenbolt voller Geheimnisse steckt. Und diese muss sie zu ihrer Freude nicht alleine entdecken, denn die freundliche Haushälterin hat einen Sohn in Beckys Alter. Zunächst ist dieser Hugo Becky ein wenig suspekt, vor allem, weil er ein passionierter Vielleser ist, sie das Lesen seit dem frühen Tod ihrer Mutter aber meidet. Gemeinsam begeben die beiden sich auf Entdeckungstour durch das Schloss und geraten auf wundersame Weise in ein geheimes Stockwerk mit einer riesigen Bibliothek. Hier lernen sie drei magische Wesen kennen: die adlige Dame Genoveva, den Blech-Ritter Ferdinand und den Kater Pepper. Sie alle warten seit Ewigkeiten auf ein Kind, das Kontakt zur Bücherwelt aufnehmen und sie auf diese Weise vor dem Vergessen bewahren kann, denn: "Nur Lesen rettet die Bücher. Hier und überall auf der Welt,"(S. 100) so erklärt Genoveva es Becky, als sich herausstellt, dass sie das Lesen ablehnt. Der Grund für diese Ablehnung, so stellt sich sodann heraus, liegt in Beckys Trauer um die Mutter begründet: Mit ihr gemeinsam war sie in kinderliterarische Welten abgetaucht, und ebendas mag sie nach dem Tod der Mutter nun nicht mehr tun. Doch dann ziehen die in der magischen Bibliothek offerierten Geschichten die Protagonistin wieder in ihren Bann und die Vorstellungsbilder der imaginierten Welten werden lebendig:

Und während sie die Geschichte von Schneewittchen las, veränderte sich nach und nach die Welt um sie herum. Erst wurde es so frostig und kalt im Zimmer, dass Becky sich ein paar Eiskristalle von der gefrorenen Nase wischen musste. Während sie las, wie der Jäger Schneewittchen in den Wald führte, roch es plötzlich nach Tannennadeln, und zwei Ameisen krabbelten über Beckys Hand. Als sie aufsah, war das Zimmer verschwunden. (S. 133)

Kritik

Barbara Rose legt mit dem Auftakt zu dieser neuen Serie im Loewe-Verlag einen klassischen Motiv-Mix vor, bei dem sie sich aus dem Fundus tradierter, bewährter kinderliterarischer Muster reichhaltig bedient. Herauskommt dabei eine leicht lesbare Geschichte mit sympathischen Figuren und phantastischen Räumen, die sich vor allem als Hommage an das Lesen und die Kinderliteratur auf grundsätzlicher Ebene präsentiert. Leider schöpft der Text das intertextuelle Potenzial, das in dieser Anlage liegt, nicht aus, denn die explizit markierte Referenz auf Schneewittchen ist die einzige, die einen Prätext erkennen lässt. Alle anderen Geschichten, auf die Becky und Hugo in der magischen Bibliothek treffen, sind frei erfunden und evozieren somit auch kein intertextuelles Spiel oder kreieren eine eigene innerfiktionale Welt auf metadiegetischer Ebene, sondern reproduzieren allgemeine Floskeln wie "Nichts regte sich im Wald der Finsternis" (S. 107). So verschenkt der Text Potenzial, das ihm durch seine Anlage eigentlich eingeschrieben wäre und die Hommage an die Kinderliteratur bleibt hohl. Dennoch handelt es sich um eine charmante Kindergeschichte, die mit ihrer Motivik (sprechende Tiere, gewitzte und fröhliche Kinderfiguren, magische und romantische Räume, Elternferne, Kind als phantastischer Weltenretter) gut zu unterhalten weiß. Insbesondere die romantisch konnotierten Raumbeschreibungen, die durch die zahlreichen Illustrationen von Annabelle von Sperber unterstrichen werden, verleihen dem Buch eine märchenhafte Note:

Schloss Rosenbolt hatte drei Stockwerke und ein Dachgeschoss, unzählige Erker und Türmchen. Obendrein war das Gebäude über und über mit wildem Wein bewachsen. Jetzt, im Spätsommer, leuchteten die Blätter knallorange und dunkelrot. Und genau in diesem Augenblick tupfte die Abendsonne ein paar schimmernde Flecken auf das Schloss. (S. 19-20)

Ein so beschriebenes Schloss müssen natürlich ganz zauberhafte Wesen bewohnen – das wissen die Leserinnen und Leser von der ersten Seite an, denn der Prolog ist aus der Sicht der drei magischen Bibliotheksbewohner geschildert, die Beckys Ankunft im Schloss sehnsüchtig erwarten. So avanciert der Serienauftakt zu einer wohlgefälligen Erzählung, die leicht lesbar ist und gewiss bei vielen Kindern auf Zustimmung stößt. Warum die Buchklappe den Text als "für Mädchen" ausweist, ist unverständlich, denn die Erzählung leistet (abgesehen von der weiblichen Protagonistin) keiner eindeutigen Genderfixierung Vorschub.

Fazit

Der Motiv-Mix macht es! Das Bücherschloss von Barbara Rose greift auf bewährte kinderliterarische Traditionen zurück, baut diese leider nicht zum intertextuellen Spiel aus, sondern setzt vor allem auf aktuell auf dem Buchmarkt sehr präsente und gut verkäufliche Muster, die eine kinderliterarische Serie braucht, um gut anzukommen: eine Prise Magie und Phantastik paart sich mit dem kriminalistischen Gespür gewitzter und fröhlicher Kinderfiguren. Das ist weder neu noch innovativ, trotzdem schön zu lesen – und darum ein empfehlenswerter Titel für Kinder ab 6 Jahren, der plakativ Werbung für das Lesen generell macht. Dem ist aus leseförderlicher Sicht ganz sicher nichts entgegenzusetzen. Anders gewendet: Gute Unterhaltungsliteratur für Kinder – und solche braucht es ja zweifellos.

Titel: Das Bücherschloss – Das Geheimnis der magischen Bibliothek
Autor/-in:
  • Name: Rose, Barbara
Illustrator/-in:
  • Name: Sperber, Annabelle von
Erscheinungsort: Bindlach
Erscheinungsjahr: 2021
Verlag: Loewe Verlag
ISBN-13: 978-37432-0656-4
Seitenzahl: 160
Preis: 8,99 €
Altersempfehlung Redaktion: 6 Jahre
Rose, Barbara: Das Bücherschloss – Das Geheimnis der magischen Bibliothek