Explikat

Der Begriff der Unterrichtsqualität mag zunächst selbsterklärend erscheinen, ist aber bei genauerer Betrachtung vielschichtig. Mit Berliner (2005, S. 207) ist festzuhalten, dass Unterrichtsqualität nur dann vorliegt, wenn guter und effektiver Unterricht zusammenfallen. Dabei bezieht sich guter Unterricht auf die in einer Community geteilten, theoretisch-normativ gefärbten Vorstellungen zur Gestaltung von Lerngelegenheiten, während effektiver Unterricht in empirischen Studien nachweislich zum Erreichen erwünschter Lernziele beiträgt.

Darüber hinaus liegt nicht nur dem Qualitäts-, sondern auch dem Unterrichtsbegriff ein spezifisches Verständnis zugrunde, insofern Unterricht als ein Zusammenspiel von Lernangeboten und deren Nutzung durch Lernende verstanden wird (z. B. Vieluf et al. 2020). Damit ist gemeint, dass sich die Qualität von Unterricht nicht in der Form entfaltet, dass die Lehrperson direkt auf den Wissenserwerb der Lernenden einwirkt, sondern dass sie im Sinne (sozial-)konstruktivistischer Lehr-Lerntheorien Angebote schafft, welche die Lernenden in Abhängigkeit von ihren persönlichen Voraussetzungen unterschiedlich nutzen (können).

Vor diesem Hintergrund bemüht sich insbesondere die quantitativ ausgerichtete Unterrichtsforschung darum, jene Angebotsmerkmale zu identifizieren, die in hohem Maße Unterschiede in den Lernoutcomes der Schülerinnen und Schüler erklären können (vgl. davon abgrenzend die rekonstruktive Perspektive der qualitativen Unterrichtsforschung bei Praetorius/Martens/Brinkmann 2022, S. 10–14). Von herausgehobener Bedeutung ist dabei die Trennung von Oberflächen- und Tiefenmerkmalen des Unterrichts (z. B. Decristan et al. 2020). Unter Tiefen- oder auch Qualitätsmerkmalen werden dabei solche Unterrichtsmerkmale verstanden, die direkt auf die mentale oder motivational-emotionale (vs. rein behaviorale) Auseinandersetzung der Lernenden mit dem Unterrichtsgegenstand zielen (z. B. kognitive Aktivierung) oder notwendige fachliche und überfachliche Rahmenbedingungen für entsprechende Verarbeitungsprozesse sichern (z. B. Klassenführung). Oberflächenmerkmale betreffen hingegen die Methoden und Sozialformen des Unterrichts, denen kein unmittelbarer Einfluss auf das Lernen zugeschrieben wird. Aus Sicht der Unterrichtsqualitätsforschung ist also weniger entscheidend, ob der Unterricht in Form einer Gruppenarbeit oder eines Plenumgsgesprächs abgehalten wird, sondern wie Tiefenmerkmale im Rahmen bestimmter Sozialformen gestaltet werden.

Der letzte Gedanke verweist bereits darauf, dass die exakte Bestimmung von Unterrichtsqualität sowohl empirisch als auch konzeptionell herausfordernd ist. Dies liegt neben Herausforderungen bei der Erfassung latenter Konstrukte u. a. daran, dass Unterrichtsqualität von unterschiedlichen Akteur:innen mit heterogenen Vorwissensbeständen, Überzeugungen und Ansprüchen unterschiedlich wahrgenommen wird (z. B. Fauth et al. 2020) und dass darüber hinaus je nach Fach, Lernbereich oder sogar Lerngegenstand Vorstellungen von Unterrichtsqualität variieren können. Hieraus resultieren nicht nur konkurrierende und im Diskurs immer neu auszuhandelnde Verständnisse von Unterrichtsqualität auf konzeptioneller Ebene, sondern auch Schwierigkeiten hinsichtlich der Vergleichbarkeit von Studien aufgrund äußerst heterogener Operationalisierungen (quantitatives Paradigma) bzw. Rekonstruktionslogiken (qualitatives Paradigma).

Besonderheiten im Kontext mit Kinder- und Jugendmedien

In der literaturdidaktischen Unterrichtsqualitätsforschung wird dafür plädiert, die Besonderheiten literarischer Gegenstände (z. B. Mehrdeutigkeit, Indirektheit) und deren Rezeption (z. B. Irritation, Offenhalten des Situationsmodells) stärker zu berücksichtigen. Zentral ist dabei v. a. die Feststellung, dass die Auseinandersetzung mit Literatur nicht mit Wissenserwerb gleichzusetzen ist, sondern kognitive Aktivierung im Literaturunterricht im Sinne eines literarischen Lernens neben einer genauen Textwahrnehmung auch mit einer subjektiven Involvierung der Lernenden einhergehen sollte (vgl. Winkler 2017, S. 84). Da sowohl Textwahrnehmung als auch Involviertheit in diesem Zusammenhang nicht ausschließlich auf kognitive Prozesse zu reduzieren sind, sondern auch emotional-wertende Prozesse explizit einschließen, hat Hesse (2024, S. 87) vorgeschlagen, von „kognitiv-emotionaler Aktivierung“ zu sprechen. Aktuelle Studien deuten daraufhin, dass alltäglicher Lese- und Literaturunterricht im Mittel eher wenig aktivierend ist und zahlreiche Möglichkeiten kognitiver bzw. kognitiv-emotionaler Aktivierung ungenutzt bleiben (z. B. Hesse 2024; Tengberg et al. 2022). Zudem ist auffällig, dass die Qualitätseinschätzungen eine hohe Streuung aufweisen und dass selbst bei Lehrpersonen, die an derselben Schule unterrichten, mit bedeutsamen Qualitätsunterschieden zu rechnen ist. Entsprechend indizieren die Befunde einen Bedarf an einer Verbesserung und Erweiterung von Aus- und Weiterbildungskonzepten im Rahmen aller Phasen der Professionalisierung.

Literatur

Berliner, David C.: The Near Impossibility of Testing for Teacher Quality. In: Journal of Teacher Education 56 (2005). S. 205–213.

Decristan, Jasmin/ Fauth, Benjamin/ Heide, Eva Lena/ Locher, Franziska/ Troll, Bianka/ Kurucz, Csaba/ Kunter, Mareike: Oberflächen- und Tiefenmerkmale: Eine Reflexion zweier prominenter Begriffe der Unterrichtsforschung. In: Zeitschrift für Pädagogik 66 (2020). S. 102–116.

Fauth, Benjamin/ Göllner, Richard/ Lenske, Gerlinde/ Praetorius, Anna-Katharina/ Wagner, Wolfgang: Who Sees What? Conceptual Considerations on the Measurement of Teaching Quality from Different Perspectives. In: Zeitschrift für Pädagogik 66 (2020). S. 138–155.

Hesse, Florian: Qualitäten von Literaturunterricht. Eine Videostudie im Praxissemester. Berlin: Springer / J. B. Metzler, 2024.

Praetorius, Anna-Katharina/ Martens, Matthias/ Brinkmann, Malte: Unterrichtsqualität aus Sicht der quantitativen und qualitativen Unterrichtsforschung: Methodische Ansätze, zentrale Ergebnisse und kritische Reflexion. In: Handbuch Schulforschung. Hrsg. von Tina Hascher/ Till-Sebastian Idel/ Werner Helsper. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, 2022. S. 867–886.

Tengberg, Michael/ van Bommel, Jorryt/ Nilsberth, Marie/ Walkert, Michael/ Nissen, Anna. The Quality of Instruction in Swedish Lower Secondary Language Arts and Mathematics. In: Scandinavian Journal of Educational Research 66 (2022). S. 760–777.

Vieluf, Svenja/ Praetorius, Anna-Katharina/ Rakoczy, Katrin/ Kleinknecht, Marc/ Pietsch, Marcus. Angebots-Nutzungs-Modelle der Wirkweise des Unterrichts: Ein kritischer Vergleich verschiedener Modellvarianten. In: Zeitschrift für Pädagogik 66 (2020). S. 63–79.

Winkler, Iris: Potenzial zu kognitiver Aktivierung im Literaturunterricht: Fachspezifische Profilierung eines prominenten Konstrukts der Unterrichtsforschung. In: Didaktik Deutsch 22 (2017). S. 78–97.