Titel des Projekts/Title: Negotiating Boyhood and Victimisation in the Adolescent Male Rape Novel

VerfasserIn/Author: Carla Plieth (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.)

Sprache/Language: Englisch

Art des Projekts/Type: Dissertation

Projektlaufzeit/Duration: 2019-2023

Universität/University: University of Cambridge

Keywords: sexual violence, adolescent male rape novel, masculinity, young adult literature, rites of passage, consent, victimisation, male rape myths

 

Beschreibung/abstract:

Das Dissertationsprojekt bietet eine kritische Inhaltsanalyse zeitgenössischer, realistischer Jugendromane, welche die Vergewaltigung von Jungen thematisieren. Es basiert auf einem Korpus von 64 fiktionalen, englischsprachigen Jugendromanen, in denen Jungen sexualisierte Gewalt erfahren und die zwischen 1984 und 2022 veröffentlicht wurden. Die Dissertation ist an der Schnittstelle von Männlichkeitsstudien und dem literarischen sowie gesellschaftspolitischen Diskurs zur sexualisierten Gewalt angesiedelt und folgt dabei einem kulturwissenschaftlichen Modell. Sie untersucht, wie die Romane auf das kulturelle Narrativ männlicher Vergewaltigung sowie auf männliche Vergewaltigungsmythen und Übergangsriten innerhalb einer patriarchalen Gesellschaft reagieren, die Weiblichkeit mit Viktimisierung und Männlichkeit mit Täterschaft gleichsetzt. In vier Kapiteln skizziere ich, wie die fiktiven Jungen ihre verschiedenen Gewalterfahrungen (inter- und intragenerationell, homo- und heterosexuell, inner- und außerfamiliär) mit der heteronormativen Männlichkeit verhandeln, zu deren Ausübung sie sozialisiert wurden. Während der Jugendroman im Allgemeinen ein geeignetes Medium ist, um solche Mythen und sozialen Rollen zu dekonstruieren, argumentiere ich, dass in den untersuchten Romanen heteronormative Vorstellungen von Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung – und damit von Viktimisierung und Täterschaft – oft nicht (vollständig) dekonstruiert, sondern vielmehr bestärkt werden. Bei unkritischer Lektüre könnten die Romane daher leicht männliche Vergewaltigungsmythen und weitere Stereotype manifestieren und damit nicht in vollem Umfang zur Sensibilisierung für die sexualisierter Gewalt an Jungen beitragen.
In den ersten beiden Kapiteln wird untersucht, ob Szenarien von 'date rape' und 'statutory rape' (d.h., 'einvernehmliche' sexuelle Aktivität, bei der eine der beteiligten Personen unter dem Schutzalter ist) als sexuelle Ausbeutung ('sexual exploitation') oder als sexuelle Erziehung ('sexual education') und Initiation dargestellt werden. Hierfür werden Konzepte wie sexuelles Begehren, Handlungsmacht ('agency') und Zustimmung ('consent') herangezogen und eine Einteilung in den präliminalen Ritus der Entdeckung von Sexualität, den liminalen Ritus des Erlebens von Sexualität und den postliminalen Ritus des Vergnügens von Sexualität vorgenommen und auf die Erzählungen übertragen. In Kapitel eins zeige ich unter Berücksichtigung des Konzepts des 'unacknowledged rape victim' ('unerkanntes Vergewaltigungsopfers') von Mary Koss (1985) auf, dass vorherrschende männliche Vergewaltigungsmythen und Vergewaltigungsskripte im Fall von Cristina Morachos Althea & Oliver (2014) die Anerkennung der männlichen Vergewaltigung verhindern und im Fall von Bill Konigsbergs The Music of What Happens (2019) erschweren. The Music of What Happens dekonstruiert im Laufe der Erzählung jedoch erfolgreich männliche Vergewaltigungsmythen durch den Einsatz einer erwachsenen Vertrauensperson und stellt, im Gegensatz zu Althea & Oliver, die Vergewaltigung als solche, d.h. als sexuelle Ausbeutung, dar.
In Kapitel zwei werden Romane – vor allem Robert Westalls Falling into Glory (1993), Melvin Burgess' Doing It (2003) und Barry Lygas Boy Toy (2007) – untersucht, in denen die sexuelle Aktivität von Jungen mit Lehrerinnen ('statutory rape') als die 'größte Fantasie' eines Jungen und damit eher als sexuelle Erziehung denn sexuelle Ausbeutung dargestellt wird. Ich behaupte jedoch, dass sexuelles Begehren sexuelle Ausbeutung nicht ausschließt; die fiktiven Jungen mögen ihre Lehrerinnen begehren und davon ausgehen, dass sie in sexuelle Handlungen mit ihnen eingewilligt haben, doch die Romane implizieren, wie die Lehrerinnen ihre Autoritätsposition missbrauchen und die Jungen zu sexuellen Handlungen zwingen. Jedoch braucht es auch hier eine Erwachsenenfigur, um diese Ausbeutung zu verdeutlichen und männliche Vergewaltigungsmythen zu dekonstruieren.
In den letzten beiden Kapiteln wird untersucht, wie Jungen in Szenarien, in denen sie ihre Viktimisierung sofort als solche erkennen, ihre Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung verhandeln. Kapitel drei befasst sich mit Vergewaltigungen unter gleichaltrigen Jungen. Anhand von zwei Sportromanen, Robert Lipsytes Raiders Night (2006) und Larry O'Loughlins Breaking the Silence (2001), in denen Vergewaltigungen als sportliche Schikanen ('hazing') entschuldigt werden, argumentiere ich, dass die Vergewaltigungen Ausdruck einer Hypermaskulinität sind, die darauf abzielen, eine Machthierarchie zu betonen und die Zielperson aus dem Team auszuschließen. Somit stellen sie eher ein Beispiel Mobbings ('bullying') als Schikane ('hazing') dar. Darüber hinaus lässt die 'bystander perspective', die Erzählperspektive aus Sicht einer die Vergewaltigung beobachtenden Person, die (versuchten) 'bullycides' ('Suizid als Folge Mobbings') der vergewaltigten Jungen vorausdeuten. Doch die beabsichtigte Aufklärung dieser Beobachter ist weniger erfolgreich, da sie die Veröffentlichung der Tat mit Heilung gleichsetzt und damit in die gleiche Falle tappt wie viele weibliche Vergewaltigungsnarrative. Darüber hinaus präge ich den Begriff des 'Ersatz-Penis', d.h. eine phallische Erweiterung, und argumentiere, dass die Täter in den Sportromanen ihre Opfer nicht nur mit einem phallischen Objekt vergewaltigen, sondern dass ein solcher 'Ersatz-Penis' in Form einer Waffe auch von den vergewaltigten Jungen eingesetzt wird, um ihre Männlichkeit zurückzuerobern, wie es auch in Marc Talberts The Paper Knife (1988), Adam Rapps Little Chicago (2002) und Matthew Quicks Forgive Me, Leonard Peacock (2013) der Fall ist. Hierdurch wird der sexuelle Übergriff explizit zu einem Angriff auf die Männlichkeit der Jungen.
Kapitel vier konzentriert sich auf Vergewaltigungen durch erwachsene männliche Täter und analysiert exemplarisch eine innerfamiliäre Vergewaltigung durch einen Stiefvater in Alex Sanchez' Bait (2009) und eine außerfamiliäre Vergewaltigung durch zwei Fremdtäter in Kathleen Jeffrie Johnsons Target (2003). Ich argumentiere zunächst, dass die zwei Jungen-Protagonisten durch ihr selbstverletzendes Verhalten versuchen, einen liminalen Ritus nachzuspielen, um die Kontrolle über ihre missbrauchten Körper wiederzuerlangen und einen nicht-sexuellen Ritus für den Eintritt ins Erwachsenenalter zu konstruieren. Zweitens skizziere ich, wie die Jungen, auf Grund der den Romanen zugrunde liegenden männlichen Vergewaltigungsmythen, ihre Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung hinterfragen, was sich in Effeminophobie und Homophobie äußert. Abschließend komme ich zu dem Schluss, dass die Dekonstruktion dieser Mythen ebenfalls erfolgreicher ist, wenn sie durch eine Erwachsenenfigur erfolgt, in diesem Fall durch die einem Therapeuten ähnliche Figur in Bait, welche die Unfähigkeit eines Kindes hervorhebt, alleine eine sexuelle Gewalterfahrung zu verarbeiten.

This dissertation provides a critical content analysis of contemporary, realist adolescent novels depicting boys experiencing particularly rape taken from a corpus of 64 fictional, Anglophone adolescent narratives depicting the sexual abuse (including attempted abuse and rape) of boys published between 1984 and 2022. It is situated at the intersection of masculinity studies and the literary as well as socio-political discourse on sexual violence, thereby following a cultural studies model to investigate how the novels respond to the cultural narrative of male (child) rape as well as male rape myths and rites of passage within a patriarchal society that aligns femininity with victimisation and masculinity with perpetration. Across four chapters I outline how the fictional boys negotiate their various experiences of victimisation (intragenerational and intergenerational, homosexual and heterosexual, intrafamilial and extrafamilial) with the heteronormative masculinity they have been socialised to perform. While the adolescent novel is generally a suitable medium to deconstruct such myths and social roles, I argue that in the adolescent male rape novels under investigation, heteronormative ideas of gender identity and sexual orientation, and thereby victimisation and perpetration, are often not (completely) deconstructed but rather reinforced. Thus, if read uncritically, the novels could easily manifest male rape myths and further stereotypes, thereby not fully succeeding at raising awareness for the sexual abuse of boys.
The first two chapters investigate whether scenarios of date rape and statutory rape are depicted as sexual exploitation or sexual education and initiation, drawing upon notions of sexual desire, agency, and consent, and mapping the preliminal rite of discovering sexuality, the liminal rite of experiencing sexuality, and the postliminal rite of enjoying sexuality onto the narratives. In Chapter 1, considering Mary Koss’ (1985) concept of the 'unacknowledged rape victim', I show that prevalent male rape myths and rape scripts, in the case of Cristina Moracho’s Althea & Oliver (2014), prevent and, in the case of Bill Konigsberg’s The Music of What Happens (2019), aggravate the acknowledgement of male date rape. The Music of What Happens is then successful in deconstructing male rape myths through its employment of an adult confidant and, in contrast to Althea & Oliver, depicts the date rape as sexual exploitation.
In Chapter 2, the investigated novels depicting boys’ statutory rape by female teachers – primarily Robert Westall’s Falling into Glory (1993), Melvin Burgess’ Doing It (2003), and Barry Lyga’s Boy Toy (2007) – posit this 'relationship' with the mature female teacher/lover as a boy’s 'greatest fantasy,' and thus a sexual education rather than sexual exploitation. However, I argue that sexual desire does not foreclose sexual exploitation; the fictional boys might desire their female teachers and assume they consented to sexual activity with them, yet the novels depict the teachers’ abusing their authoritative position and grooming, gaslighting, and manipulating the boys, i.e. coercing them into sexual activity. Yet, it again needs an adult figure to emphasise this exploitation and deconstruct male rape myths.
The last two chapters consider how boys, in scenarios in which they immediately acknowledge their victimisation, negotiate their gender identity and sexual orientation. Chapter 3 investigates rape among male peers. Investigating two sports novels, Robert Lipsyte’s Raiders Night (2006) and Larry O’Loughlin’s Breaking the Silence (2001), in which rape is excused as athletic hazing, I argue that the rapes are expressions of hypermasculinity, seeking to emphasise a power hierarchy and aiming to exclude the target from the team, therefore constituting bullying rather than hazing. Further, the bystander perspectives foreshadow the raped boys’ (attempted) bullycides, yet the intended bystander education is arguably less successful as it equates disclosure with healing, thereby falling into the same pitfalls as many female rape narratives. Moreover, I coin the concept of the ersatz-penis, a phallic extension, arguing that the perpetrators in the sports novels not only rape their victims with an object but that such an ersatz-penis, in the form of a weapon, is employed by the targets to reclaim their masculinity, as also exemplified in Marc Talbert’s The Paper Knife (1988), Adam Rapp’s Little Chicago (2002), and Matthew Quick’s Forgive Me, Leonard Peacock (2013), thereby attesting to the sexual assault being an attack on the boys’ masculinity.
Chapter 4 focuses on rape exerted by adult male perpetrators, exemplarily analysing an intrafamilial rape by a stepfather in Alex Sanchez’ Bait (2009) and an extrafamilial stranger rape in Kathleen Jeffrie Johnson’s Target (2003). I first argue that the boys seek to re-enact a liminal rite through their self-harming behaviour to regain control over their abused bodies and construct a non-sexual rite to enter adulthood. Second, I outline how the novels’ underlying male rape myths lead the boys to question their gender identity and sexual orientation which finds expression in effeminophobia and homophobia. Finally, I conclude that the deconstruction of these myths is again more successful when done through an adult figure, here the counsellor figure in Bait, highlighting a child’s inability to heal from sexual abuse on their own.

 

Biographische Informationen/CV:

Carla Plieth studierte English-Speaking Cultures/Englisch und Germanistik an der Universität Bremen (BA) und Critical Approaches to Children’s Literature (MPhil) an der University of Cambridge. An letzterer promoviert sie, gefördert durch ein Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes, seit 2019 am Centre for Research in Children’s Literature mit einer Dissertation zur Darstellung sexualisierter Gewalt an Jungen im Jugendroman. Für einen Auszug dieses Projektes, der auch im Sammelband Voices from the Wreckage: Young Adult Voices in the #MeToo Movement (2023, Hg. Karshner) erschienen ist, wurde sie 2023 mit dem Graduate Student Essay Award (PhD-Level) der Children’s Literature Association ausgezeichnet, Weitere Publikationen erschienen in Bookbird und in mehreren in kürze erscheinenden deutsch- und englischsprachigen Sammelbänden. Carla nahm Lehraufträge an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und der Stiftung Universität Hildesheim war. Sie war Redakteurin des Cambridge Educational Research e-Journals und betreut im Team von KinderundJugendmedien.de die Fachbuchrezensionen. Neben der Darstellung sexualisierter Gewalt gehören die Diskurse Gewalt und Trauma, Gender und Sexualität, sowie Sport- und Spielnarrativen zu ihren Forschungsschwerpunkten.