Obwohl die Kritik am Comic eine lange Tradition hat und sich noch heute Stimmen finden, die den Comic nicht als ernsthafte Kunst betrachten, findet seit drei Jahrzehnten die fachliche wie öffentliche Auseinandersetzung mit dem Comic als Kunstform statt. Die Bedeutung von Comic-Künstlern wie Hugo Pratt, Möbius (Giraud), Hal Foster, Lewis Trondheim, Joann Sfar, Hergé, Robert Crumb, Art Spiegelman, Will Eisner und Anke Feuchtenberger ist unbestritten, und in den Feuilletons haben Comics und Graphic Novels ebenso einen festen Platz wie in den Verlagsprogrammen etwa von Suhrkamp und Rowohlt.

Literatur- wie bildwissenschaftlich wird der Comic, der Bild und Text untrennbar verbindet, als Gegenstand ernst genommen. Im Fokus stehen dabei Fragen nach der Nähe und Distanz zum jeweiligen Medium, nach der Fortführung bzw. Überbietung literarischer bzw. bildlicher Traditionen. Daran will das interdisziplinäre und internationale Tagungsprojekt anknüpfen, das ausgehend von der jeweiligen Fachtradition das Erzählen in Bilden in den Fokus rückt. Den Auftakt bildet im Herbst 2024 eine Tagung am Deutschen Literaturarchiv Marbach, die nach der Nähe von Comic und Graphic Novel zur Literatur fragt.

Zahlreiche Klassiker der Weltliteratur wurden in der Gattung Comic aufgegriffen – vom Faust über den Mann ohne Eigenschaften und Kafkas Erzählungen bis zu Moby Dick. Lang ist auch die Reihe an literarischen Autor/-innen, die sich mit dem Comic, mit Fragen der visuellen Darstellung poetischer Texte oder mit Verfahren visueller Narration auseinandergesetzt haben, so beispielsweise H. C. Artmann, Hans Magnus Enzensberger, Robert Gernhardt, Brigitte Kronauer, Nora Krug, Marie Marcks und Oskar Pastior. Der österreichische Comic-Zeichner Nicolaus Mahler adaptiert in seinen Veröffentlichungen literarische Autoren und Werke, schreibt selbst Lyrik und ist künstlerischer Leiter der Schule für Dichtung in Wien.

Aus diesen Gründen finden sich Comics auch in den Sammlungen des Deutschen Literaturarchivs Marbach: Über 600 Bände verzeichnet der Katalog gegenwärtig. Bei den meisten davon ist die Nähe zur Literatur offensichtlich: Sie entstammen entweder der Feder literarischer Autor/-innen oder sind Adaptationen literarischer Werke. Darüber, dass es Comics als Kulturform angemessen zu archivieren und für die Forschung bereitzuhalten gilt, besteht also kaum Zweifel. Doch wo lassen sich Grenzen ziehen? Welche Titel fallen in den Sammelauftrag eines Literaturarchivs, nach welchen Kriterien kann eine Auswahl getroffen werden? Welche Rolle spielen dabei bestimme Formate wie etwa Serien, welche Genres und Erzähltraditionen wie etwa Science-Fiction? Welche Bedarfe sieht die Forschung, welche Comicautor/-innen und -verleger/-innen? Sollte ein Archiv nur die publizierten Titel sammeln oder auch explizit Material von Comicautor/-innen oder -zeichner/-innen aufnehmen? Und wie können hier wissenschaftliche Beschreibungen von grafischer Literatur, von Formen des Erzählens in und mit Bildern weiterhelfen?

Ausgehend von diesen Fragen laden wir Wissenschaftler/-innen, Publizist/-innen, Autor/-innen und Verleger/-innen dazu ein, gemeinsam über die Tradition, die Formen, die Erforschung und das Sammeln von Comics und Graphic Novels nachzudenken. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Qualifikationsstufen aus den Literaturwissenschaften, der Kunstgeschichte und Bildwissenschaft sowie der Medien- und Kommunikationswissenschaft sind zu Beiträgen eingeladen. Bitte reichen Sie Abstracts (300 Wörter, vorzugsweise in Englisch) für eine 30-minütige Präsentation mit kurzen bio-bibliografischen Angaben bis zum 30. Juni 2024 über das Bewerbungsportal hoch.

[Quelle: Pressemitteilung]