Welche Ziele verfolgen Sie durch das Schreiben für Heranwachsende?

Ziel ist ein großes Wort. Ich möchte, dass meine Bücher Spaß machen und zum Lesen anregen. Die größten Ziele nützen ja nichts, wenn die jungen Leserinnen und Leser ein Buch weglegen, weil es sie langweilt. Aber natürlich geht es auch um Werte, die die Geschichten vermitteln sollen: Soldidarität, Toleranz, Freundschaft, seid freundlich zueinander. Aber das sollte nie im Vordergrund stehen, sonst werden Geschichten schnell fad und öd.

In Ihrem Buch „Hilfe mein Handy ist ein Superschurke“ (Rowohlt 2020) personifizieren ein Smartphone zu einem Superschurken. Wie stehen Sie zur Nutzung mobiler Endgeräte der Generation Snapchat?

Was mich an der Fragestellung immer stört, ist die Perspektive auf die Kinder. In den Lesungen frage ich immer: „Wem sagen die Eltern, dass sie oder er zu viel am Handy ist?“ Alle Hände gehen hoch. „Und sind eure Eltern genauso viel am Handy?“ Wieder gehen alle Hände hoch. Wir sollten uns alle mehr Gedanken über unsere Medien-Nutzung machen. Aktuell finde ich die Webseiten, Podcasts und Tiktok-Seiten, die genutzt werden, viel gefährlicher als die Bildschirmzeit. Gerade bei Jugendlichen und gerade bei politischen Fragen. Das macht mir viel mehr Sorgen. Aber auch das gilt genauso bei den Erwachsenen.

Ihr Roman „Der Pfad“ spielt zur Zeit des Nationalsozialismus. Wie schwer fiel es Ihnen, sich in diese Zeit hineinzuversetzen?

Ich habe mich immer viel mit der Zeit beschäftigt. Vor allem, was die Autoren, Künstlerinnen und Journalisten betrifft, die Deutschland verlassen mussten. Insofern war ich "im Thema drin", wie man so schön sagt. In der Vorbereitung habe ich dann noch mal mehr gelesen, vor allem Autobiografien. Und ich bin auch nach Marseille und in die Pyrenäen gereist, dahin, wo das Buch spielt, um die Orte selbst zu "spüren". Oft schreibe ich aus der Ich-Perspektive. Das habe ich mir beim Pfad dann aber nicht getraut, das schien mir anmaßend. Bei der Arbeit kamen dann aber schon die Gedanken, wohin würde und könnte man selbst gehen, wenn der Rechtsruck in Europa noch stärker und radikaler wird.

Wie ist Ihnen die Idee gekommen, den Roman mit comichaften bzw. graphic-novelhaften Szenen zu rahmen?

Das Buch beginnt 1940 in Marseille und erzählt die Geschichte eines Jungen und seines Vaters, die vor den Nazis fliehen müssen. Mein Problem war: Was weiß ein Kind, das das Buch zufällig in die Hand bekommt, über die Hintergründe? Ich hätte natürlich eine fünfseitige historische Einleitung schreiben können. Aber das will ja – völlig zurecht – niemand lesen, der sich in der Bibliothek einen Roman aus dem Regal gezogen hat. Eine Kollegin gab mir den Tipp mit der Comic-Einführung, die auf einer Doppelseite versucht, quick and dirty sieben Jahre Geschichte zusammenzufassen: von der Machtübertragung 1933 bis zum Waffenstillstand in Frankreich und der Teilung des Landes in eine besetzte und unbesetzte Zone. Die Zeichnungen sind von Heribert Schulmeyer, mit dem ich vorher schon ganz viele Comic-Romane gemacht habe.

Der gerade erwähnte Roman wurde auch verfilmt. Wie haben Sie sichergestellt, dass die Literaturverfilmung den Kern des Romans widerspiegelt.

Das war beim Pfad ein eher ungewöhnlicher Weg. Am Anfang war nämlich nicht der Roman, sondern mein Drehbuch. Weil Film aber so teuer ist, hat es mit der Verfilmung gedauert. Die Zeit habe ich genutzt, um den Roman zu schreiben. Nachdem der erschienen ist, haben wir weiter am Drehbuch gearbeitet. Deswegen unterscheidet sich der Film auch an einigen wichtigen Stellen vom Buch. Ich hatte so die ganze Zeit Einfluss auf den Film und bin mit dem Ergebnis auch sehr glücklich. Das ist bei Buchverfilmungen ja nicht immer so.

Hatten Sie Einfluss auf den Cast des Films?

Nein, und das war auch besser. Ich bin ganz schlecht bei Rollenvorschlägen. Aber ich wurde immer über alle Schritte informiert und habe mich sehr gefreut, als feststand, dass Julius Weckauf den Rolf spielt.

Der Film hat den goldenen Spatz gewonnen. Wie wichtig sind Ihnen filmische oder literarische Preise?

Der Film hat alles eingesammelt, was man als Kinderfilm gewinnen kann: den Goldenen Spatz, den Deutschen Filmpreis, den Preis für das beste Kinderfilm-Drehbuch, den Preis der Deutschen Filmkritik und noch ein paar mehr. Das ist schon toll und – ehrlich gesagt – auch eine kleine Genugtuung. Der Roman ist bei den Auszeichnungen in der Buchbranche komplett übergangen worden. Völlig zu Unrecht natürlich.
Nein, im Ernst: Ich glaube, dass ich lange Zeit als Unterhaltungsautor galt und als solcher wird man nicht für die wichtigen Preise nominiert. Wobei ich überzeugt bin, dass wir "Unterhaltungsautorinnen und -autoren" mehr für die Lesungsförderung tun, als vielleicht andere, die vom Feuilleton und den Preisgremien mehr geschätzt werden. Mittlerweile hat sich das aber auch gebessert und 2023 habe ich die beiden wichtigsten Auszeichnungen für Erstlese-Literatur gewonnen: den SPELL-Preis in Siegen und den Preuschhoff-Preis in Hamburg. Und das für zwei unterschiedliche Bücher. Darauf bin ich wirklich stolz, weil gerade die sogenannte Erstlese-Literatur das schwerste überhaupt ist, auch wenn die dünnen Bücher so einfach aussehen. Sind sie aber nicht. Ganz im Gegenteil.

In Ihrem Roman "Nur 300 km" steht ein Rollstuhlfahrer im Vordergrund. Wie haben Sie als Nicht-Rollstuhlfahrer sicher gestellt, dass Sie keine Klischees reproduzieren?

Auch bei "Nur 300 km" stand zuerst ein Drehbuch und da hatten wir Sensitive-Reader an Bord, die uns unterstützt und beraten haben. Mir war schon vorher wichtig, keine Geschichte über einen Rollstuhlfahrer zu schreiben, der mit seinem Schicksal hadert und am Ende lernt, es anzunehmen. Bullshit. Ich wollte von Anfang an ein Buch schreiben, in dem mein Protagonist zwar im Rolli sitzt, aber das ist nicht sein Problem. Die Tipps der Sensitive-Reader gingen dann eher auf Formulierungen, die sie oft zurecht schwierig fanden, oder Details. Eine Sensitive Readerin, die selbst im Rollstuhl sitzt, sagte zum Beispiel: "Hör auf, immer rollen zu schreiben. Wenn ich in die Küche will, sag ich meinem Mann ja auch nicht: Ich roll in die Küche. Sondern: Ich gehe in die Küche." Die Beratung war extrem hilfreich, schließlich sitze ich selbst nicht im Rollstuhl, darf aber natürlich trotzdem darüber schreiben, um kurz eine andere aktuelle Debatte zu streifen.

In Ihrem aktuellen Roman "Eine Klasse voller Superhelden und der normalste Lehrer der Welt" (Ueberreuter 2024) thematisieren Sie Schülerinnen und Schüler mit übernatürlichen Kräften. Was ist Ihre Superkraft neben dem Schreiben?

Puhhh! Fragen Sie lieber meine Familie, vielleicht kann sie die Frage beantworten. Ich befürchte aber, die würden Sie nur verständnislos anschauen. Rüdiger? Superkräfte? Wovon reden Sie?

Sie sind viel auf Lesetouren auch außerhalb Deutschlands unterwegs. Zuletzt haben Sie an verschiedenen Orten in der Schweiz gelesen. Wie bereiten Sie sich jeweils auf Lesungen vor?

Ich liebe Lesungen und bin extrem viel mit meinen Büchern unterwegs. Für uns Kinderbuchautorinnen und -autoren ist das auch finanziell wichtig. Auf eine einzelne Lesung brauche ich mich nicht mehr groß vorzubereiten, das findet alles viel früher statt. Wenn ein neues Buch erscheint, aus dem ich lesen möchte, überlege ich mir: Welche Stellen aus dem Buch wähle ich aus, um die Spannung während der Lesung zu halten? Welche Visualierungs-Hilfen nehme ich mit? Welche Bilder zeige ich auf einer Flipchart oder mit dem Beamer? Welche Themen will ich in der Fragerunde ansprechen?
Für mich ist die Fragerunde immer das Spannendste bei einer Lesung. Manche Fragen wiederholen sich natürlich ("Wie lange brauchen Sie für ein Buch?", "Sind Sie reich?", "Wie viele Bücher haben sie schon geschrieben?"), aber immer wieder wollen die Kinder auch Dinge wissen, mit denen man nicht gerechnet hat. Neulich z.B. "Wen lieben Sie mehr? Ihre Kinder oder ihre Bücher?" Oder: "Träumen Sie von Ihren Hauptfiguren?" Am Ende einer Lesung erfinde ich mit den Kindern oft aus dem Stegreif eine Geschichte, die dann ihnen gehört. Dabei sind spontan schon ganz großartige Dinge enstanden. Und die sind alle nicht vorhersehbar und das ist natürlich toll.

Gab es eine Lesung, die Ihnen ganz besonders in Erinnerung geblieben ist?

Ja, das war in Sizilien. Ich war mit einer italienischen Übersetzung auf Einladung des Goethe-Instituts dort. Nach einer Lesung, bei der ich von einer Dolmetscherin begleitet wurde, sagte die Lehrerin: "Wir haben noch etwas für Sie vorbereitet." Und dann sangen 60 italienische Kinder voller Inbrust "Oh Tannenbaum" und ich trat danach gerührt aus der Schule in die Hitze des sizilianischen Frühlings. Mit Gesang kriegt man mich immer, so wie in Nördlingen, wo die Kinder von ihrem Chor erzählten und ich sie bat, etwas zu singen. Und das taten sie dann auch und zwar "Imagine" von John Lennon. Gänsehautmoment und Tränen flossen auch. Also bei mir. Logisch.

Welche spannenden Projekte verfolgen Sie aktuell?

Viele. Ich glaube, ich bin ganz gut im Exposé schreiben und wenn ich eine neue Idee für eine Geschichte habe, fasse ich das schnell in 2-3 Seiten zusammen. Ich muss dann nur irgendwann die Zeit finden, aus den Ideen auch Bücher zu machen. Worauf man sich im Herbst freuen kann, ist ein lustiges Weihnachtsbuch "Jo und die drei eiligen Könige" (Carlsen 2024), das von Karsten Teich illustriert wurde, und in dem behauptet wird, nicht der Stern, sondern ein Hund hat die Könige zur Krippe geführt. Und im Juli 2024 erscheint "Beinahe berühmt" (Gulliver). Das Konzept dort, Geschichten für Kinder und Jugendliche zu schreiben, die vielleicht noch Probleme beim Lesen haben, aber für Grundschulgeschichten schon viel zu groß sind, finde ich auch als Autor extrem spannend.

Spannend war auch das Interview mit Ihnen. Tausend Dank für die ehrlichen und sympathischen Antworten, die Einblicke in Ihren abwechslungsreichen Berufsalltag geben!

 Bertram bei der Autogrammstunde vor begeisterten Schülern

Bertram liest aus Nur 300 km

Neben den Fotos von der Lesung Bertrams finden sich hier noch kurzweilige Links zu Booktubes, in denen Betram selbst seine Bücher vorstellt: