Inhalt

Als ein Großaufgebot von Polizei und FBI anrückt, um etliche Mitglieder der stark fundamentalistisch orientierten Heiligen Kirche der Legion Gottes samt ihres Propheten Father John wegen diverser Straftaten festzunehmen, endet die Aktion nach kürzester Zeit in einem gewaltigen Inferno: Durch heftige, von den Gesuchten ausgelöste Schusswechsel und ein alles zerstörendes Feuer kommt ein Großteil der "Heiligen" ums Leben. Unter den wenigen, ausschließlich jugendlichen Geretteten ist auch die 17-jährigen Moonbeam. Nachdem im Krankenhaus zunächst eine schlimme Brandverletzung ihrer Hand versorgt wurde, wird Moonbeam zu ihrem eigenen Schutz in eine geschlossene psychiatrische Klinik verlegt. Dort versucht der Therapeut Doktor Hernandez sehr behutsam in vielen Gesprächen, aber auch mittels Gruppentherapie gemeinsam mit weiteren überlebenden Jugendlichen, das schreckliche Geschehen mit der stark traumatisierten Moonbeam aufzuarbeiten. Bei den Sitzungen ist bald auch der Agent Carlyle anwesend, der vor allem den genaueren Hergang der Katastrophe ermitteln soll. Moonbeam, die schon als kleines Kind mit ihren Eltern in das abgeschlossene Lager kam und kaum Näheres weiß über die Leute von "draußen", mit denen man niemals spricht (S. 19) und "die nichts anderes tun als lügen" (S. 259), zeigt sich zunächst äußerst verschlossen und unkooperativ; erst ganz allmählich fasst sie Vertrauen zu den beiden Fragestellern und erzählt immer mehr über die unglaublichen Vorgänge, die sie erleben musste unter der autoritären Führung des Propheten Father John erleben musste. Dieser beteuert nachdrücklich, sich bei all seinen Weisungen auf direkte göttliche Botschaften zu beziehen. Ein paar wesentliche Fakten, die sie mutmaßlich selbst belasten würden, will Moonbeam aus purer Angst vor Strafverfolgung auf jeden Fall für sich behalten; doch der Wunsch, sich endlich alles von der Seele zu reden, wird immer stärker.

Kritik

Der Plot von Will Hills After the Fire erinnert frappant an ein erschütterndes Ereignis des Jahres 1993, als dutzende Mitglieder der "Davidians" und ihr charismatischer Anführer und "Messias" David Koresh nahe der texanischen Ortschaft Waco nach einer längeren Konfrontation mit Polizeikräften in einem Flammeninferno zu Tode kamen. Wie Hill in seinen Nachwort-Anmerkungen erwähnt, hat er sich tatsächlich von den damaligen Medienberichten inspirieren lassen; dennoch sei sein Roman eine "fiktive Geschichte" (S. 469).
Was er unter dem Eindruck der Waco-Vorfälle literarisch vorlegt, das macht  – gerade im Hinblick auf den intensiven Bezug zur historischen Vorlage – fassungslos in der Beschreibung dessen, was Menschen unter solchen Bedingungen aushalten müssen. Es macht aber gleichermaßen auch wütend darüber, dass Personen wie Father John (das Pendant zu Koresh) gänzlich skrupellos und über lange Zeit eigene Machtgelüste verfolgen können und diese auf perfide Weise quasi göttlich "legitimieren".   
After the Fire konzentriert sich indes nicht in erster Linie auf die bloße Chronologie einer derartigen Katastrophe. Der Fokus liegt vielmehr auf dem Erleben einer einzelnen Person, nämlich der überlebenden, stark traumatisierten 17-jährigen Moonbeam, die als Ich-Erzählerin im Wechsel von "Vorher" und "Danach" (so auch die Kapitelüberschriften) die Verhältnisse aus ihrer Sicht sowie ihre jeweiligen Empfindungen schildert. Sämtliche Zeitebenen sind als nachdrückliche Unterstreichung der Intensität des Beschriebenen im Präsens formuliert.
Treffend und durchgehend ungemein spannend zeichnet der Roman ein exakt differenziertes Psychogramm der jungen Frau. Da sie bereits als Kleinkind von ihren Eltern in die Gruppierung der "Heiligen" mitgenommen wurde, hatte sie keinerlei Möglichkeiten, sich für oder gegen eine Mitgliedschaft zu entscheiden. Die strengen Verhaltensmaßregeln, aber auch die brutale Ahndung bei ihrer Nichtbefolgung (z.B. tagelanges Einsperren ohne Nahrung in einen tagsüber glühend heißen, nachts eiskalten Container) wurden von allen Mitgliedern üblicherweise als gegeben hingenommen, zumal alles durch das Wort des Propheten Father John seine Berechtigung erhielt und zudem durch die Ankündigung höllischer Strafen im Jenseits eindrücklich untermauert wurde. Erst ganz allmählich zeigen sich für Moonbeam erste Risse in dieser scheinbar so stabilen Weltsicht, die auf der einen Seite die "Heiligen" als alleinige Träger göttlichen Willens und sichere Kandidaten für ein ewiges Leben in paradiesischer Seligkeit einordnet. Andererseits wird die „böse Welt“ außerhalb des eigenen Lagers als zu bekämpfender Feind eingeordnet und ihre Vertreter, die als "Diener der Schlange" bezeichnet werden, gelten als zu ewiger Verdammnis Verurteilte. Das wird in abstrusen Horrorszenarien begründet:

Der Staat verfügt über Hubschrauber, mit denen er brennendes Benzin auf uns regnen lässt, wenn er uns draußen erwischt, außerhalb der Reichweite von Father Johns schützendem Arm. Der Staat will unsere kleinen Brüder und Schwestern töten, ihre Leiber über dem Höllenfeuer rösten und dann ihr Fleisch essen. Der Staat will die Schwestern der Legion mit Ungeziefer schwängern, das sie von innen auffrisst.  Der Staat will dir Arme und Beine abschneiden, dir den Mund zunähen und lachend zusehen, wie du verhungerst. (S. 95)

Der Autor weist im Nachwort explizit darauf hin, "…dass der Roman kein Angriff auf religiöse Überzeugung sein will. Die Art des Glaubens in der Legion Gottes ist weit von dem christlichen Glauben entfernt, wie er von zweieinhalb Milliarden Menschen auf der ganzen Welt praktiziert wird…“"(S. 469). Dieser Aussage ist unbedingt zuzustimmen; dennoch greift sie etwas zu kurz, da es zweifellos biblisch-religiöse Aussagen sind, die die Existenz der Gruppe begründen, die aber letztlich – und das wird im Buch sehr gut verdeutlicht  ̶  pervertiert verwendet werden: So wird die unter den Mitgliedern ständig benutzte Grußformel "Der Herr ist freundlich" in der streng reglementierten, von vielen Ängsten bestimmten Gruppe zur hohlen Floskel; die seitens des Propheten häufig verwendete, prinzipiell richtige Aussage "Gott macht keine Fehler" wird als 'Totschlagargument' zu einem verbalen Machtinstrument, das jedes Hinterfragen selbst offensichtlich unsinniger oder menschenverachtender Anweisungen des "Propheten" unterbindet. Dies zu erkennen, ist für indoktrinierte Personen alles andere als einfach; so auch für Moonbeam, die ihre anfänglichen Zweifel zunächst unterdrücken will, die aber auch im "Danach" noch immer die donnernde Stimme des "Propheten" in ihrem Inneren vernimmt, der mit schlimmsten Höllenqualen droht und ihr jede eigene Entscheidung verweigern möchte. Was der Erzähler hier in drastischer Form ausdrückt, dürfte, wenngleich in eher abgeschwächter Form, vielen religiös "Überzeugten" nicht unbekannt sein. In einer deutlich differenzierenden Betrachtungsweise stellt Dr. Hernandez im Gespräch mit Moonbeam analysierend dazu fest:

Ich bezweifle keine Sekunde, dass viele Menschen in der Legion, vielleicht sogar die meisten, ein nach ihrer Überzeugung gottgefälliges Leben geführt haben. Du hast mir ja von ihnen erzählt, deshalb weiß ich das. Ich denke, es waren anständige Menschen, die niemand etwas Böses wollten. Aber trotzdem lagen sie am Schluss mit Gewehren in den Händen tot auf dem Boden, weil John Parson ihnen Angst eingejagt und sie mit Lügen irregemacht hat. […] …wenn ich sie betrachte, denke ich, dass sie nicht dumm oder bösartig oder schwach waren, sondern einfach irregeleitet. Und ich glaube, was ihnen passiert ist, könnte unter den entsprechenden Umständen jedem passieren. (S. 414) 

Es unterstreicht aber die Notwendigkeit, mutmaßlich "eindeutige" Wertvorstellungen immer wieder kritisch zu hinterfragen. Wie unendlich schwierig und belastend dies im Einzelfall sein kann, zeigt sich bei der Protagonistin. Das Buch leistet mit seiner einfühlsamen Erörterung dieser Thematik auch einen wichtigen Beitrag zu Diskussion bezüglich verbreiteter, nicht selten als zwingend und schlüssig betrachteter "Verschwörungstheorien", die auch unter Jugendlichen gerne als vereinfachende Erklärungen komplexer Zusammenhänge akzeptiert werden.
Dass in etlichen Fällen nicht etwa das Heil der Menschheit, sondern Machtbesessenheit, Manipulation und perfide Agitation durch extrem egoistische "Führerpersönlichkeiten" dahinter stehen, wird am Beispiel von Father John nachhaltig ausgeführt.
Es mag angesichts der packenden, bisweilen kaum noch erträglichen Schilderungen in After the Fire hilfreich sein zu wissen, dass es zwar kein klassisches Happy End (was vermutlich auch allzu platt wirken würde), wohl aber ein "gutes", und, obwohl es einigermaßen konstruiert wirkt, auch durchaus stimmiges Ende gibt: Es vermittelt die Botschaft, dass bei entsprechendem Einsatz, nämlich dem unbedingten Überlebenswillen der Betroffenen, aber auch der uneingeschränkten Unterstützung durch Familie, Freunde und Therapeuten, selbst bei schier unlöslichen Problemen und Belastungen ein Ausweg möglich sein kann.

Fazit

After the Fire, das für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2021 nominiert wurde, nimmt mit seiner emotional aufwühlenden Geschichte die Leserinnen und Leser von der ersten bis zur letzten Seite gefangen. Das Buch kann gerade jungen, auf der Suche nach der eigenen Identität befindlichen Jugendlichen ab etwa 14 Jahren, aber auch jedem Erwachsenen uneingeschränkt zur Lektüre empfohlen werden. Es ist alles andere als "leichte" Literatur, gerade weil es auf realen Ereignissen beruht. Aber es ist ein wichtiger Beitrag zur kritischen Hinterfragung aller allzu starren (religiösen), angeblich "alternativlosen" und dabei nicht wirklich am Wohl der Gemeinschaft ausgerichteten Welterklärungen und zwischenmenschlichen Strukturen. 

Titel: After the Fire
Autor/-in:
  • Name: Hill, Will
Originalsprache: Englisch
Originaltitel: After the Fire
Übersetzung:
  • Name: Ströle, Wolfram
Erscheinungsort: München
Erscheinungsjahr: 2020
Verlag: dtv Reihe Hanser
ISBN-13: 978-3-423-65032-8
Seitenzahl: 480
Preis: 15,95 €
Altersempfehlung Redaktion: 14 Jahre
Hill, Will: After the Fire