Inhalt

Die 13jährige Anna ist hübsch und reich. Doch der vordergründige Schein trügt, denn das Mädchen ist in Wirklichkeit einsam und verzweifelt. Ihre Mutter ist an Krebs gestorben, ihr nunmehr alleinerziehender Vater ist materiell sehr wohlhabend und bietet seiner Tochter regelmäßige Urlaube auf Mauritius und ein eigenes Pferd, hat aber wenig Zeit für sie. Zwar liebt er das Mädchen abgöttisch, doch, was in Anna tatsächlich vorgeht, übersieht der hilflose und überforderte Vater. Als eine neue Mitschülerin in die Klasse kommt und sich mit Annas bis dato bester Freundin anfreundet, wird Anna zum Mobbing-Opfer. Abgesehen von ihrem Freund Anton findet sie in der Klasse keine Unterstützer*innen. Auch die Lehrerin schaut weg und spricht Anna selbst die Schuld an ihrem Außenseiterstatus zu. So bleibt Anna nur ihr geliebtes Pferd Elrond. Schließlich verfolgen ihre Mitschüler*innen sie aber auch in den Reitstall, beschimpfen sie öffentlich als Hure und bedrohen ihr Pferd. Weil der Vater nahezu ausschließlich mit seiner Arbeit als Architekt beschäftigt ist, bleibt Anna als Vertrauter nur ihr Tagebuch, das sie zum 13. Geburtstag bekommen hat. Alles endet in einer Katastrophe: Bei einem offenbar willentlich herbeigeführten Reitunfall, kommt die Protagonistin ums Leben. Erst dann erfährt der Vater aus dem Tagebuch, was wirklich geschehen ist, und greift zur Selbstjustiz.

Kritik

Diese dramatische Mobbing-Geschichte entfaltet sich auf mehreren Erzählebenen, indem sich die Tagebucheinträge der Protagonistin, typographisch abgesetzt durch Kursivdruck, in die heterodiegetisch konzipierte Erzählebene einfügen. Diese beginnt in ultimas res und setzt den tragischen Reitunfall, bei dem Anna zu Tode kommt, an den Anfang. Dadurch entwirren sich die Erzählstränge sukzessive wie bei einer Kriminalhandlung. Doch der Erzählton ist dem ernsten Thema verpflichtet und entbehrt jegliches fröhliches Rätselraten, das eine Krimi-Lektüre birgt. Mit klarer, eindringlicher Sprache wird die Tragik einer Mobbing-Geschichte sichtbar gemacht, aus der es kein Entrinnen gibt. Die Botschaft der Narration ist als Motto mit einem Zitat Albert Einsteins gefasst:

"Die Welt ist viel zu gefährlich, um darin zu leben –

nicht wegen der Menschen, die Böses tun,

sondern wegen der Menschen,

die daneben stehen und sie gewähren lassen." (S. 11)

Ebendieser Prämisse ist die Gestaltung der Romanhandlung verpflichtet: Für Anna gibt es keine Chance, sie rennt geradewegs hinein in die Katastrophe, weil alle anderen schweigend zusehen. Das ist ein Plot, der in der Literaturgeschichte allgemein bekannt ist und hier nun eine gelungene jugendliterarische Modifikation erfährt. Die Tagebucheinträge Annas lassen einen gewissen Konstruktcharakter erkennen, was bei der Überformung der eigentlich privaten Textsorte in öffentliche literarische Texte sicherlich keine Seltenheit ist. So kontextualisiert Anna in ihren Tagebucheinträgen umfangreich das Geschehen für ihre Leser*innen. Die Buchseiten avancieren zum lebendigen Gesprächspartner, dem Anna eine gute Nacht wünscht – das mutet konstruiert an, schwächt den insgesamt eindringlichen Erzählton des Jugendromans zu dem wichtigen Thema jedoch nicht ab. Der psychologische Jugendroman ist sowohl als Klassenlektüre als auch zum häuslichen Lesen empfehlenswert, bietet aber alles andere als leichte Kost.

Fazit

Astrid Frank fasst in Unsichtbare Wunden das wichtige Thema Mobbing an und verschont ihre Leser*innen nicht. Das tragische Ende ist vorweggenommen, weshalb die Sensibilisierung für zwischenmenschliche Verhaltensweisen von der ersten bis zur letzten Seite gelingt. Der Text lädt jugendliche Leser*innen ab 13 Jahren auf intensive Weise zum Nachdenken ein und bietet durch die Koexistenz unterschiedlicher Erzählebenen auch Potenziale für literarisches Lernen im Deutschunterricht.

Originaltitel: Unsichtbare Wunden
Erscheinungsort: Stuttgart
Erscheinungsjahr: 2016
Verlag: Urachaus
ISBN-13: 978-3-8251-7966-3
Seitenzahl: 286
Preis: 18,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 13 Jahre
Frank, Astrid: Unsichtbare Wunden