Inhalt

Der Titel Himmelwärts spiegelt sich auf zweierlei Weise in Karen Köhlers Theaterstück wider, denn das Thema Tod wird mit einem Bezug zum Weltall verknüpft. Die zehnjährige Toni und ihre beste Freundin Yumyum übernachten im Garten. Während Tonis Vater glaubt, dass die beiden Mädchen im Zelt schlafen gehen, verfolgen diese heimlich ganz andere Pläne. Tonis Mutter ist kürzlich an Krebs verstorben und die Mädchen hoffen, Kontakt zur Toten aufzunehmen. Das soll mittels eines selbst umgebauten Radios funktionieren, mittels dessen die Mädchen in den Himmel funken. Während die trauernde Toni zweifelt, ist Yumyum fest überzeugt, dass Tonis Mutter noch irgendwo im Weltall ist. Tatsächlich erhalten die Mädchen schnell einen Kontakt aus dem All. Doch statt der verstorbenen Mutter sprechen die Mädchen mit der Astronautin Zanna, die gerade auf der Raumstation ISS weilt. Die Wissenschaftlerin berichtet den Mädchen von ihrem Leben auf der Raumstation und rät ihnen aufgrund ihrer Erfahrung als Frau im All, dass sie sich nicht entmutigen lassen und stets ihre eigenen Ziele verfolgen sollen. Zudem erzählt Zanna von den Dingen, die sie auf der Raumstation vermisst, und ermöglicht auf diese Weise auch Toni, über ihre Trauer zu sprechen. Am Ende erkennt Toni, dass das Leben weiterhin schön ist, das Universums und das Leben auf der Erde voller Wunder ist und dass sie trotzdem ihre Mutter vermissen darf. Während die Mädchen letztlich im Freien einschlafen, erfährt auch Tonis trauernder Vater Trost: Er hört im Garten die Stimme der Astronautin, die ein Plädoyer für den Frieden hält:

… Wir haben nur dieses eine Leben, und von hier oben aus gesehen, scheint es das Beste zu sein, sich gegenseitig die Hand zu reichen, Frieden zu schließen, zusammenzuarbeiten statt gegeneinander. Das uns Fremde mit Staunen zu betrachten, statt es abzulehnen, weil wir es nicht kennen. (S. 46f.)

Am Ende bleibt Raum für die Schönheiten des Lebens, für die Weiten des Universums, aber auch für das Trauern, wie die Regieanweisung verdeutlicht: „Musik, Discokugel. Sterne. Magie. Alles an, an, an. Das Wunder des Lebens an. Die Nacht an. Die Trauer auch an. Die Freude an. Das Leben geht weiter, in seiner unfassbaren Schönheit.“ (S. 47)

Kritik

Himmelwärts zeichnet aus, dass es unterschiedliche Themen vermischt, die dann in einem kurzweiligen Theaterstück verwoben werden. Das bestimmende Thema ist zunächst die Trauer der zehnjährigen Toni, wie sich bereits zu Beginn des Kinderstücks zeigt. Während sich Yumyum über ihre Mutter beschwert, die ein "Kontrollfreak" (S. 6) sei, entgegnet Toni: "Wenigstens hast du noch eine. […] Ich vermisse sie so." (Ebd.) Es wird deutlich, dass Toni sich gegenüber der Freundin öffnet und ihre Trauer zeigen kann, was ihr bei ihrem Vater nicht zu gelingen scheint. Dieser ist zu sehr in seiner eigenen Traurigkeit gefangen, was er allerdings vor seiner Tochter verheimlicht. Das berichtet Toni, als sie zu ihrer toten Mutter spricht, die sie irgendwo im Himmel verortet:

Kannst du mich hören? … Papa vermisst dich auch ganz schlimm. Er trinkt ganz viel Wein, um seine Traurigkeit wegzuspülen. Klappt nicht. Heißt Wein „Wein“, weil man davon weint? Er weint nämlich jeden Tag. Auch wenn er denkt, ich merke es nicht. Aber immer, wenn er vom Klo kommt, hat er ganz verquollene Augen. (S. 16)

Doch das Stück belässt es nicht bei der Darstellung von Verlust, Trauer und Schmerz. Das liegt zum einen daran, dass Toni trotzdem als freches Mädchen dargestellt wird, die Leichtigkeit des Kindseins immer wieder durch das Stück durchscheint. Beispielsweise schmuggeln die Mädchen Unmengen von Süßigkeiten und Knabberkram heimlich in ihr Zelt (vgl. S. 8f.), am Ende findet der Vater die beiden letztlich schlafend "in einem Berg von Süßigkeiten" (S. 47). Zudem zeigen sich Elemente der freien Komik, wenn die Mädchen Überlegungen anstellen, ob man in der Schwerelosigkeit des Universums furzen kann (S. 37) oder als Yumyum die Sehnsucht Zannas nach Gemüse schlicht mit "Schmeckt halt scheiße" kommentiert. Zum anderen ist es ein besonderer Kunstgriff der Dramatikerin, das Thema Trauern mit der Weltraumthematik zu verbinden. Eine Weltraumästhetik zeigt sich bereits in der Darstellung der Szenen, denn diese werden — ähnlich dem Start einer Raumfähre — von zehn beginnend auf null durchnummeriert. Das Weltall erweist sich dabei als ein Ort der Hoffnung. Bereits in der neunten, also eigentlich der zweiten Szene des Kinderstücks zeigt sich Hoffnung in Form einer "gigantische[n] Sternschnuppe über den Nachthimmel" (S. 10), nachdem Toni ihre Mutter um ein Zeichen gebeten hatte. Als Toni in der vorletzten Szene einen Stern nach ihrer Mutter benennt, erscheint erneut eine Sternschnuppe. Nun glaubt nicht nur Yumyum, sondern auch Toni, dass die Verstorbene im Himmel ist.

Aber auch die Gespräche mit der Astronautin machen Toni Mut. Sie kann mit der unbekannten Zanna über ihre Trauer reden. Toni berichtet beispielsweise davon, dass sie ein Regal in ihrem Zimmer hat, auf dem sie Erinnerungsgegenstände ihrer Mutter gestellt hat. Auch die Stimme der Mutter hat Toni gemeinsam mit dem Vater aufgenommen, um sich weiterhin erinnern zu können (vgl. S. 28f.). Auf solche Weise wird nicht nur Kindern, sondern auch erwachsenen Zuschauerinnen und Zuschauern eine Möglichkeit aufgezeigt, zu trauern und sich zu erinnern. Diese vierte, mit "TONIS Vermissung" (S. 28) untertitelte Szene mündet in die folgende, "ZANNAs Vermissung" (S. 32). Die Astronautin berichtet in dieser, was sie alles auf der Erde vermisst. In einem langen Monolog stellt sie die Schönheit der Erde heraus, deren Menschen, Natur, Tiere, Gerüche und Geräusche einzigartig sind. Sie beschreibt das Leben in sehr poetischer Weise, wie der folgende Ausschnitt zeigt.

Ich vermisse Geräusche. Das Sirrende, Singende, Donnernde, Schwingende, seltsam Klingende. Das Zischen und Brausen, Flirren und Sausen. Das Laute und Leise. Plätschern vom Regen und Jaulen vom Wind. Wellen, die an Ufern lecken. Meere, die an Felsen schlagen. Flüsse, die rauschen, Bäche, die plätschern. Eis, das kracht. Die Stille der Nacht. Blätterrascheln, Ästeknacken, den Ruf eines Habichts. (S. 34)

Voller sprachlicher Bilder präsentiert die Astronautin die Schönheiten des Lebens und lenkt die Aufmerksamkeit der Freundinnen auf die einfachen Dinge: "Ich vermisse Gras unter meinen Füßen, wie fühlt sich das noch mal an? Ich hab’s vergessen." (S. 35)

Köhler himmelwaerts Insz1Abb. 2 Stadttheater Ingolstadt Himmelwärts mit Clara Schwinning, Wiebke Yervis, Olivia Wendt Indem die Mädchen im Folgenden beschreiben, wie sie ihre unmittelbare Umgebung wahrnehmen, wird die Trauer vergessen, der Blick auf die Besonderheiten der Natur gelenkt. Man soll aufmerksam sein für das Wunderbare unserer Welt, könnte eine Aussage des Stückes sein. Indem die Mädchen in der vorletzten Szene erfahren, dass Menschen aus Sternen gemacht sind, dann Sternbilder erfinden und einen eigenen Stern für Tonis Mutter auserkoren, haben sie neues Lebensglück gewonnen.

Neben dieser Handlung, welche Kindern und Erwachsenen letztlich Mut macht, ist das Theaterstück aber nicht nur aufgrund der poetischen Sprache von seiner Ästhetik her bemerkenswert. Während andere Theatertexte der Gegenwart (vgl. beispielsweise Patricks Trick) sehr komplex und nicht als Lesedrama geeignet sind, bietet sich Köhlers Theaterstück in besonderer Weise an, um von Kindern beispielsweise im Deutschunterricht gelesen zu werden. Das liegt nicht nur an der einfach zu verstehenden, geschlossenen Form, sondern auch an den Nebentexten, die eine Erzählinstanz zeigen. Bereits die dramatis personae verdeutlicht eine solche Ästhetik, wenn beispielsweise die Figur Yumyum wie folgt eingeführt wird:

YumYum: 10 Jahre, beste Freundin von Toni, liebt Yum Yum mit Garnelengeschmack, hat immer ein Päckchen dabei. Bastelt und schraubt gerne, ist quirlig, hat Energie für zwei. Googelt schneller, als ein Cowboy seinen Revolver zieht. (S. 3) 

Normalerweise ist die Funktion einer dramatis personae, die Figuren eines Dramas aufzulisten und kann als indirekte Regieanweisung gelten. Die obige Beschreibung Yumyums geht aber darüber hinaus und zeigt Eigenschaften wie das schnelle Googeln, die in der dann folgenden Handlung gar nicht relevant sind, aber den Eindruck vermitteln, jemand würde von dem Mädchen erzählen. Andere Nebentexte klingen, als seien sie intern aus der Sicht eines der Kinder fokalisiert. So heißt es in der Regieanweisung der neunten Szene, als die Mädchen das selbst gebaute Funkgerät herausholen wollen: "Aber genau da öffnet der VATER die Terrassentür. Und, och nööö: Er kommt auch och raus." (S. 11) In weiteren Regieanweisungen ist vom "Erwachsenensprech" (S. 5) die Rede. Auch hier wird suggeriert, dass die Regieanweisung aus der Sicht eines Kindes geschrieben wurde. Doch die Regieanweisungen sind nicht durchgängig kindlich verfasst. Beispielsweise wird das Requisit, das zum Weltallfunk umgebaute Radio, wie folgt beschrieben: "Das kann ein völlig irres Gerät sein (Wes-Anderson-Style)." (S. 13)

Köhler himmelwaerts Insz2Abb. 3 Stadttheater Ingolstadt Himmelwärts mit Clara Schwinning, Wiebke YervisNur Kulturerfahrene dürften wissen, mit welcher Liebe zum Detail und Mut zur Farbe der Regisseur seine retro anmutenden Filmbilder erzeugt und wie somit das Funkgerät der Mädchen aussehen könnte. So erweist sich Himmelwärts als ein Stück, dass nicht nur auf der Bühne, sondern auch zu Hause oder in der Schule gelesen begeistert.

Fazit

Karen Köhler ist ein Stück gelungen, das die großen Themen des Lebens aufgreift, ohne die Leichtigkeit des Kindseins aus dem Blick zu verlieren. Dabei erweist sich das Theaterstück für Kinder ab acht nicht nur auf der Bühne als gewinnbringend, sondern auch als Lesedrama, ohne Kinder zu überfordern. Kein Wunder also, dass eine Adaption jetzt auch als Kinderbuch erschienen ist!

Literatur

Köhler, Karen: Himmelwärts. Theaterstück für Kinder ab 8 Jahren. Gefördert durch das „Nah dran!“ Stipendium. Hamburg: Verlag für Kindertheater, 2022.

Abbildungen

Abb. 1 Karen Köhler. Foto: Paula Winkler

Abb. 2 Stadttheater Ingolstadt Himmelwärts, Foto: Jochen Klenk

Abb. 3 Stadttheater Ingolstadt Himmelwärts, Foto: Jochen Klenk

Titel: Himmelwärts
Autor/-in:
  • Name: Köhler, Karen
Uraufführung: 16.04.2022, Stadttheater Ingolstadt
Erscheinungsort: Hamburg
Erscheinungsjahr: 2022
Verlag: Verlag für Kindertheater
Altersempfehlung Redaktion: 8 Jahre
Köhler, Karen: Himmelwärts