Inhalt

Der Roman greift im Wesentlichen den Plot des Films Pans Labyrinth auf: Das kluge und stets mit Märchenbüchern ausgestattete Mädchen Ofelia, das mit ihrer Mutter Carmen 1944 aufs Land ziehen muss, weil diese nach dem Tod des leiblichen Vaters den drakonisch-tyrannischen Hauptmann Vidal geheiratet hat, flüchtet sich in den Wirren der spanischen Umsturzphase und Gewaltherrschaft unter dem Diktator Franco, der namentlich nicht genannt wird, in eine makaber-mythische Traumwelt. Diese spiegelt die Bedrohung durch das autoritäre Regime als eine mythische Welt wider. In ihr ist Ofelia, deren Name an die trist-verträumte Geliebte aus Shakespeares Hamlet erinnert, nicht das hilflose Wesen, das der strengen Etikette und der Brutalität von Vidal unterworfen ist, sondern erringt in einer phantastischen Parallelwelt Siege über monströse Machthaber. Dort gilt sie als die einst aus einer Art Feenreich verschollene Prinzessin Moanna, die Tochter des Mondes. Passend dazu eröffnet sich die Parallelwelt von Ofelia immer nachts. Dabei erscheinen ihr häufig ein bis drei Feen, die an Gruselversionen von Peter Pans Tinkerbell erinnern. Auch Peter Pan taucht hier indirekt als Pan bzw. Faun, wie Funke ihn im Roman bzw. Hörbuch im Gegensatz zum Film nennt, auf, der für Ofelia als direkter Vermittler zwischen beiden Reichen fungiert. Diesen trifft sie immer nachts in einem verfallenen Labyrinth, das sich in der Nähe der Mühle befindet, in die Ofelia gezogen ist. Der Faun stellt sich als Personifikation der Natur vor und setzt Ofelia alias Moanna davon in Kenntnis, dass sie drei Aufgaben zu lösen habe, um ihre Identität als verschollene Prinzessin zu beweisen. Die erste Aufgabe ist zu meistern, als Ofelia in einem von ihrem verstorbenen Vater geschneiderten Edelkleid der illustren Gesellschaft um den ihr verhassten Hauptmann beiwohnen soll. Dabei flüchtet sie ähnlich wie die Hauptfigur in Lewis Carrolls Alice im Wunderland aus der realen Welt und klettert in das Innere eines alten Baumes, wo sie eine gefräßige Riesenkröte mithilfe von drei magischen Steinen des Fauns besiegt, sodass der Baum seinen "Parasiten" loswird. Als Belohnung erhält sie einen goldenen Schlüssel. Diesen kann sie im nächsten sehr furchteinflößenden Setting nutzen. Zur Strafe für das in der letzten Quest verschmutzte Edelkleid schickt ihre Mutter Carmen sie nach einem Bad ohne Essen ins Bett. Als erneut eine Fee erscheint, landet Ofelia in einem Raum mit einer reichlich gefüllten Tafel. Doch sie darf nichts essen, da ansonsten der Kinderschänder Pallido, neben der gefräßigen Kröte wohl eine weitere Chiffre für den autoritären Vidal, der offensichtlich auf dem Tyrannen Franco basiert, aufwacht und das Mädchen verfolgt. Ophelia öffnet mit dem goldenen Schlüssel, den sie in der ersten Aufgabe erhalten hat, ein geheimes Schloss, in dem sich ein kunstvoll verzierter Dolch befindet. Auf dem Rückweg kann Ofelia den edlen Speisen nicht mehr widerstehen und sie nascht von einer Frucht. Pallido erwacht und möchte sie auffressen, was die Hilfe der Feen knapp verhindert. Als letzte Prüfung bringt Ofelia auf Geheiß des Fauns ihren neu geborenen (Halb-)Bruder in das Labyrinth, ohne zu wissen, was der Faun mit ihm vorhat. Sodann setzt dieser sie in Kenntnis, dass er ihn mit dem Dolch verletzen möchte, damit sich durch das Blut eines unschuldigen Kindes die Pforte in die mythische Feenwelt öffnet. Doch Ofelia geht diese Aufforderung zu weit.

Kritik

Neben den im Film bekannten Szenen liegt es Funke am Herzen, die makabre mythische Welt, für die del Toros Narrative im Allgemeinen weltbekannt sind, weiter auszugestalten. Deshalb fügt sie zehn atmosphärisch düstere und wirklich geniale Prequels zur fantastischen Welt des Feenreichs hinzu, die in ihrer Konzeption stark an Rowlings Märchen von Beedle dem Barden im letzten Band (Heiligtümer des Todes) der Harry Potter-Serie erinnern. Beispielsweise weist die Legende Der Schneider, der mit der Gevatterin Tod feilschte motivische Parallelen zum Märchen von den drei Brüdern auf: Wie im letzten die drei Brüder versucht bei Funke auch der Vater Ofelias, den Tod zu überlisten, indem er mit ihm vereinbart, dass er erst geholt wird, wenn er ihr wunderschönes Kleid fertiggenäht hat. Jedoch trennt er es nach dem Vorbild von Penelope, der Frau des Odysseus aus der Odyssee, immer wieder auf, bis die hier weibliche Todesfigur dahinterkommt und ihn letztlich doch zu sich holt.

Weitere Kapitel wie Der Buchbinder, Als der Faun sich verliebte oder Das Echo eines Mordes liefern tiefgehende Einblicke in die mythologisch motivierte Fabelwelt. Zudem erweist es sich als besonders innovativ, dass Funke durch die Nullfokalisierung der Erzählinstanz die Leserschaft auch an den Innenperspektiven mit Blick auf Gefühle und Gedanken teilhaben lässt. So lernen die Rezipientinnen und Rezipienten auch die Gedankengänge der despotischen Riesenkröte aus dem alten Baum kennen:

Nun zeigte der Eindringling wenigstens etwas Respekt. Das gefiel dem Kröterich, auch wenn das Dargebotene spärlich war. Er liebte es, seine Diener zu verschlingen. Er fand das Knuspergeräusch, das sie machten, wenn er sie zwischen seinen zahnlosen Kiefern zermalmte, zutiefst befriedigend. Ja, er würde das Gastgeschenk annehmen. (S. 101)

Der titelgebende Faun bzw. Pan entstammt der griechisch-römischen Mythologie und jagt Ofelia im Rahmen der drei oben erwähnten Tests jedes Mal von Neuem wortwörtlich panischen Schrecken ein. Wie sein mythologisches Vorbild trägt er Hörner auf seinem Kopf, ist betagt und weise und hat Hufe als Beine. Auch das humanoide Ungeheuer Pallido erweist sich als von den Sagen der Alten Griechen inspiriert: So ist dieser eine Mischform aus den Graien, die ein bewegliches Auge besitzen, das sie je nach Belieben in die Augenhöhlen einsetzen können, und einer Hexe aus dem Märchen der Brüder Grimm (Hänsel und Gretel) anzusehen, welche Kinder verspeist, nachdem diese von ihrem Lebkuchenhaus genascht haben. Pallido hat im Gegensatz zu den Phorkyaden sogar zwei Augen und setzt sich diese kurioserweise in seine Hände ein. Weitere intertextuelle Anspielungen finden sich, wie bereits weiter oben erwähnt, mit Blick auf den Roman Peter Pan von James M. Barrie.

Um die Intermedialität des Stoffes beizubehalten, werden den Texten einige wunderbar magisch-kreative Illustrationen von Allen Williams, der bereits als Concept Artist für prominente Fantastik-Filme wie Star Trek Beyond (Lin, 2016) oder Hellboy (Marshall, 2019) gearbeitet hat, beigefügt. Diese surrealistisch wirkendenden Schwarz-weiß-Zeichnungen, die wohl im Vorfeld bereits zum Film entstanden sind, hauchen den Fabelwesen und Ofelia als mutig-empathischer Protagonistin intensives Leben ein. Diese orientieren sich zwar ikonographisch (zwangsläufig) an der filmischen Vorlage, weisen jedoch eine durchdachte Bildkomposition auf, die den Rezipienten direkt in das Geschehen als Betrachter aus nächster Nähe einbeziehen.

Die Sprache klingt – nicht zuletzt dank dem versierten und erfahrenen Übersetzer von englisch sprachiger Gruselliteratur Tobias Schnettler – poetisch mit treffend bildhaften und düsteren Vergleichen, die jedoch nicht zu schwulstig wirken und die Atmosphäre zielführend unterstreichen. Auch die Dialoge wirken lebensnah und das junge Mädchen Ophelia kommt dadurch lebendig, sympathisch und weniger altklug rüber, wie das bei anderen heldenhaften Teenagern der Fall sein kann.

Fazit

Insgesamt ist die Adaption als Roman von Das Labyrinth des Fauns keineswegs, wie manch einer vermuten könnte, ein schnell produziertes Medium zur Vergrößerung des Medienverbundes um den oscarprämierten Film (Kamera, Ausstattung, Maske) von del Toro, sondern es ist ein mit viel Liebe zum Detail kreativ konzipiertes Kunstwerk entstanden. Der Roman setzt die Bilder des Films nicht nur in Texte um, sondern durch Funkes eigenständige Sagen in Form von knappen Prequels gewinnt die mythische Ebene des Stoffs an Bedeutung und schafft einen noch gravierenderen Gegenpart zur tristen Realität zur Zeit der Machtübernahme durch einen Tyrannen. Diese düster-innovative Fabelwelt wird auch durch die gelungenen Illustrationen von Allen Williams zusätzlich als ein Plädoyer für die Kraft der Fantasie getreu dem folgenden Motto der Feenwelt gewürdigt.

Die Thematik des Werks als eine Parabel auf die Schrecken für die zivile Bevölkerung aufgrund eines tyrannisch-autoritären Kriegstreibers ist aktueller denn je. Aufgrund der Komplexität der beiden aufeinandertreffenden Welten und der zum Teil sehr düsteren Handlungsstränge wird der Roman für Rezipienten ab 12 Jahren empfohlen. Parallel zum Roman ist auch ein Hörbuch erschienen: http://www.kinderundjugendmedien.de/index.php/hoerspiele-und-buecher/3001-funke-cornelia-und-guillermo-del-toro-das-labyrinth-des-fauns-hoerbuch

Titel: Das Labyrinth des Fauns
Autor/-in:
  • Name: Funke, Cornelia
  • Name: del Toro, Guillermo
Originalsprache: Englisch
Originaltitel: The Labyrinth of the Faun
Übersetzung:
  • Name: Tobias Schnettler
Illustrator/-in:
  • Name: Allen Williams
Erscheinungsort: Frankfurt a.M.
Erscheinungsjahr: 2019
Verlag: Fischer Verlag
ISBN-13: 978-3-7373-5666-4
Seitenzahl: 318
Preis: 20,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 12 Jahre
Funke, Cornelia und Guillermo del Toro: Das Labyrinth des Fauns